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64. Am 30. September 1994 beschloß der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates das Ratifikationsgesetz zu dem europäischen Übereinkommen vom 16. Oktober 1980 über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge.177 Anlaß für das Abkommen war die unterschiedliche Auslegung des Art. 28 der Genfer Konvention vom 28. Juli 1951 über den Status von Flüchtlingen und die Bestimmungen der §§ 6 und 11 des Anhangs zu der Konvention. Die sich dadurch ergebenden praktischen Probleme sollen durch eine einheitliche Regelung über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge mit dem Abkommen ausgeräumt werden. Im Hinblick auf die erst spät in Angriff genommene Ratifikation des Übereinkommens erklärte die Bundesregierung:178
"In den 13 Jahren seit der Unterzeichnung konnten in der Bundesrepublik Deutschland wesentliche Novellen des Asylverfahrens- und des Ausländerrechts durchgeführt werden. Etwaige Unstimmigkeiten mit künftigen Gesetzgebungsvorhaben sind nunmehr nicht zu erwarten." |
65. Zu Empfehlungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, einen europäischen Flüchtlingsausschuß als kompetente Koordinierungsstelle mit weitreichenden Befugnissen im Rahmen des Europarats zu bilden, erklärte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage, daß die Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Union der Einrichtung einer neuen Institution ablehnend gegenüberstünden. Dies sei im vergangenen Jahr bei der Diskussion einer dänischen Initiative, eine "Europäische Flüchtlingskommission" einzurichten, deutlich geworden. Es bestünden bereits zahlreiche Foren, die sich mit Fragen der Ausländer-, Flüchtlings- und Asylpolitik befaßten. Sie äußerte sich auch ablehnend zu der vorgeschlagenen Ernennung eines europäischen Hohen Kommissars für Flüchtlinge zur Unterstützung des Mandats des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Angesichts des globalen Charakters der Migrationspolitik sei es nicht sinnvoll, Einrichtungen zu schaffen, die sich ausschließlich der europäischen Flüchtlingssituation widmeten.179
66. Im Hinblick auf die empfohlene Schaffung eines Rechtsinstruments zum Schutz der de facto-Flüchtlinge führte die Bundesregierung aus, daß die Staaten Europas langfristig eine abgestimmte Haltung zu dieser Frage anstreben sollten. Im Arbeitsprogramm 1994 der Europäischen Union sei vorgesehen, die "Lage von Personen, die aus dem einen oder anderen Grund nicht zurückgeführt werden können", zu prüfen.180
67. Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte der deutsche Vertreter für die Europäische Union, Österreich, Finnland, Norwegen und Schweden:
"The European Union and the acceding States are hosting hundreds of thousands of refugees ... In addition to our obligations in the international instruments, we have provided protection to considerable number of victims of armed conflicts ... With the entry into force of the Treaty on the European Union, our aim is now to harmonize our asylum policies and legislation in order to improve the procedures for the examination of asylum claims and to safeguard the institution of asylum from misuse, in particular through a clear distinction between refugees and economic migrants. The Convention of Dublin will, upon its entry into force, provide for common rules on the examination of asylum applications within the EU as well as the safeguards as individual requests for asylum are considered effectively and in a timely manner."181 |
68. Im Hinblick auf die Bürgerkriegsflüchtlinge aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien beschloß der Bundestag, daß sie sich nur so lange im Bundesgebiet aufhalten dürfen, "bis die für die Gewährung des Schutzes ursächlichen Voraussetzungen entfallen sind."182 Hinsichtlich der bosnischen Flüchtlinge bestehe eine besondere Schutzbedürftigkeit für die mißhandelten Frauen. Für die Flüchtlinge aus den übrigen Nachfolgestaaten sei die Grundlage für ein allgemeines, umfassendes Bleiberecht nicht gegeben. Die Regelung der Rückkehr müsse aber äußerst differenziert und behutsam erfolgen und eine Koordination mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sei anzustreben.183 Auf Anfrage erklärte die Bundesregierung am 21. Januar 1994, daß nach dem Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom Herbst 1993 der Abschiebestopp für bis zum 22. Mai 1992 eingereiste kroatische Bürgerkriegsflüchtlinge im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern letztmalig bis zum 31. Januar verlängert worden sei, mit der Maßgabe, daß die Rückführung am 30. April 1994 beginnen solle. Es sei zu erwarten, daß ein erheblicher Teil der Betroffenen rechtzeitig freiwillig seiner Ausreisepflicht nachkomme. Nach einer Rückkehr in die von der kroatischen Regierung kontrollierten Landesteile sei eine Gefahr für kroatische Staatsangehörige nicht zu erwarten. Die Bundesregierung gehe davon aus, daß auch kroatische Staatsangehörige serbischer Volkszugehörigkeit nicht der Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt seien. Fürchte ein Betroffener, im Einzelfall gleichwohl einer Gefahr ausgesetzt zu sein, so könne er dies im Asylverfahren geltend machen.184