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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1994


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Peter-Tobias Stoll

XII. Zusammenarbeit der Staaten

g. Grenznachbarliche Zusammenarbeit

    191. Im Hinblick auf die Grenzabfertigung und den Grenzverkehr wurden im Berichtszeitraum zahlreiche Abkommen abgeschlossen und ratifiziert bzw. traten in Kraft. Die Abkommen mit Polen über Erleichterungen der Grenzabfertigung417, über die gegenseitige Unterstützung der Zollverwaltungen418, sowie über den Autobahnzusammenschluß und den Bau von Grenzabfertigungsanlagen für den neuen Grenzübergang im Raum Görlitz und Zgorcelec419 traten in Kraft. Nach Auskunft der Bundesregierung sind weitere Grenzabfertigungsanlagen geplant oder schon im Bau befindlich.420 Über den Kleinen Grenzverkehr wurde ein deutsch-tschechisches Abkommen abgeschlossen.421 Mit Österreich wurde ebenfalls eine Regelung über die Grenzabfertigung getroffen.422 Mit dem Großherzogtum Luxemburg schloß Deutschland am 18. April 1994 ein Abkommen über den Autobahnzusammenschluß und den Bau einer Grenzbrücke über die Mosel im Raum Perl und Schengen ab.423

    192. Am 6. Januar stimmte der Bundestag dem Deutsch-Polnischen Vertrag vom 19. Mai 1992 über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässern zu.424 Anläßlich der Unterzeichnung des Vertrages hatten beide Seiten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der es heißt:

    "Im Zusammenhang mit Art. 12 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässern gehen die beiden Vertragsparteien davon aus, daß durch diese Regelung keine rückwirkende Bezugnahme auf früher geschlossene Verträge, insbesondere solche zwischen der Volksrepublik Polen und der Deutschen Demokratischen Republik, vereinbart worden ist."425
    Besonders rege war die grenznachbarliche Zusammenarbeit im Berichtsjahr mit Polen und der Tschechischen Republik im Hinblick auf den Umweltschutz.426 Mit Polen vereinbarte Deutschland die Durchführung eines gemeinsamen Umweltschutz-Pilotprojekts "Kläranlage Swinemünde".427 Grundlage des Projekts ist ein interministerielles Abkommen über die Durchführung des gemeinsamen Projekts428 und eine gemeinsame Erklärung zur Durchführung eines Ausbildungsprogramms für das künftige Personal der Kläranlage.429 Jeweils gesondert wurden zur Durchführung des Abkommens und der gemeinsamen Erklärung Zuwendungsverträge � jeweils direkt zwischen dem deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Stadt Swinemünde, vertreten durch den Präsidenten der Stadt � abgeschlossen.430 Das Pilotprojekt gründet sich auf den oben erwähnten Deutsch-Polnischen Vertrag für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft an den Grenzgewässern und sieht vor, daß in Swinemünde eine Kläranlage mit dem Einsatz von Abwasserreinigungstechnologie des neuesten Standes der Technik errichtet wird, an die auch deutsche Gemeinden angeschlossen werden (Art. 1 Abs. 1 des Abkommens). Ziel des Projekts ist eine deutliche Entlastung des durch kommunale und industrielle Abwässer hochbelasteten Mündungsbereichs der Swine und damit auch die Verminderung grenzüberschreitender Umweltbelastungen (Art. 1 Abs. 2 des Abkommens). In Art. 2 ist der von deutscher Seite aufzubringende Investitionszuschuß und der Abschluß eines entsprechenden Zuwendungsvertrags direkt mit der Stadt geregelt. Nach Art. 3 des Abkommens übernimmt es die Republik Polen, die Erfüllung der aus dem Zuwendungsvertrag erwachsenden Verpflichtungen der Stadt Swinemünde sicherzustellen, falls diese aufgrund ökonomischer, rechtlicher oder politischer Umstände dazu nicht in der Lage sein sollte. Dazu heißt es:
    "Sofern die ... Verpflichtung von der Stadt Swinemünde nicht eingehalten wird, tritt [der Minister für Umweltschutz, natürliche Ressourcen und Forstwesen der Republik Polen] hilfsweise in diese Verpflichtung ein ... ."
    Nach Maßgabe der gemeinsamen Erklärung soll das künftig auf der "Kläranlage Swinemünde" eingesetzte polnische Personal bis zur Inbetriebnahme der Anlage umfassend auf seine künftigen Aufgaben vorbereitet werden. Dies soll durch Schulungen sowie durch praktische Ausbildung auf Kläranlagen des in Swinemünde eingesetzten Typs erfolgen. In Zukunft soll die Infrastruktur in Swinemünde und das abwassertechnische Wissen des dort tätigen Personals für die Aus- und Weiterbildung weiteren polnischen Kläranlagenpersonals genutzt werden. Das Bundesministerium erklärt sich bereit, alle für Ausbildungsmaßnahmen in der Bundesrepublik Deutschland anfallenden Kosten zu übernehmen. Dagegen verpflichtet sich die Stadt Swinemünde, die für Ausbildungsmaßnahmen in Polen anfallenden Kosten aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Von deutscher Seite her sollen drei Gemeinden, die unmittelbar in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze gelegen sind, an die Kläranlage angebunden werden. Nach Verhandlungen zwischen dem deutschen Zweckverband "Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung der Insel Usedom" (AZVU) und der Stadt Swinemünde haben die Kommunen im November 1993 die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte ihrer Zusammenarbeit in einem Anbindungsvertrag geregelt.431
    Ähnliche Projekte wurden mit der Tschechischen Republik bzw. ihren Verwaltungseinheiten abgeschlossen und sind im Berichtszeitraum in Kraft getreten.432Entsprechend dem deutsch-polnischen Pilotprojekt hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mit dem Ministerium für Umwelt der Tschechischen Republik ein Abkommen über die Durchführung des gemeinsamen Umweltschutz-Pilotprojekts "Kommunale Abwasserbehandlungsanlagen Nord-Böhmen" abgeschlossen.433 Es betrifft die Errichtung von kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen in Roudnice nad Labem (Raudnitz an der Elbe) und in Ceska Kamenice (Böhmisch Kamnitz). Der entsprechende Zuwendungsvertrag wurde mit der Severoceska vodarenska spolencnost a.s. (SVS a.s.) abgeschlossen. Er enthält in Ziff. 21 eine Schiedsklausel, nach der Streitigkeiten, die sich aus der Interpretation oder Durchführung des Vertrages ergeben, auf Verlangen einer der beiden Vertragsparteien einem aus drei Schiedsrichtern bestehenden Schiedsgericht zu unterbreiten sind. Art. 3 des zugehörigen interministeriellen Abkommens sieht vor, daß das Ministerium für Umwelt der Tschechischen Republik im Rahmen seiner Möglichkeiten für die Erfüllung der Pflichten der SVS a.s. sorgt, sofern diese aufgrund ökonomischer, rechtlicher oder politischer Umstände dazu nicht in der Lage ist. Nach Art. 3 tritt das Ministerium für Umwelt der Tschechischen Republik erforderlichenfalls hilfsweise auch in die Verpflichtungen der SVS a.s. als Zuwendungsempfängerin nach Nr. 20 des Zuwendungsvertrages ein.
    Ein weiteres deutsch-tschechisches Abkommen betrifft die Durchführung von gemeinsamen Umweltschutz-Pilotprojekten zur Verminderung grenzüberschreitender Umweltbelastungen.434 Das Abkommen betrifft die Nachrüstung zweier Kraftwerke nach dem neuesten Stand der Technik im Hinblick auf Luftverunreinigungen. Auf seiner Grundlage wurden Zuwendungsverträge mit der CEZ a.s. (Kraftwerk Tisova) und mit der Chemopetrol Litvinov a.s. betreffend das Kraftwerk T 700 Chemopetrol Litvinov abgeschlossen.435
    Im Hinblick auf das Euro-Pipe Abkommen zwischen Deutschland und Norwegen sei auf die Ausführungen oben V.a., Ziff. 36 verwiesen.


    417 Vom 29.7.1992, BGBl. 1994 II, 265; in Kraft getreten am 4.8.1994, BGBl. 1994 II, 1258.
    418 Vom 29.7.1992, BGBl. 1994 II, 93; in Kraft getreten am 10.9.1994, BGBl. 1994 II, 2435.
    419 Vom 29.7.1993, BGBl. 1994 II, 67; in Kraft getreten am 1.6.1994, BGBl. 1994 II, 1148.
    420 Antwort der Bundesregierung auf Schriftliche Anfrage, BT-Drs. 12/7357, 14: Pomellen Autobahn � Kolbitzow (Kolbaskowo), Frankfurt/Oder Autobahn � Schwetig (Swiecko), Forst Autobahn � Erlenholz (Olszyna), Görlitz � Görlitz (Zgorzelec).
    421 Siehe oben, Ziff. 22.
    422 Verordnung zu der Deutsch-Österreichischen Vereinbarung vom 26.11.1993/10.1.1994 über die zeitweilige Grenzabfertigung an bestimmten Grenzübergängen auf deutschem und auf österreichischem Gebiet, BGBl. 1994 II, 125.
    423 BGBl. 1996 II, 215.
    424 BGBl. 1994 II, 59.
    425 BGBl. 1994 II, 66. Art. 12 des Abkommens, auf den sich die gemeinsame Erklärung bezieht, lautet: "Die Bedingungen für das Überqueren der Grenze durch Personen sowie für das Verbringen von Materialien, Geräten, Werkzeugen und Transportmitteln werden, insbesondere für Gefahrensituationen, in gesonderten Verträgen geregelt."
    426 Siehe zu dem deutsch-polnischen Umweltabkommen, unten, unter XIII a, Ziff. 197.
    427 Walter (Anm. 29), Ziff. 162.
    428 BGBl. 1994 II, 766; nach Art. 4 am 21.4.1994 in Kraft getreten.
    429 Vom 30.12.1993/21.1.1994, BGBl. 1994 II, 771.
    430 BGBl. 1994 II, 768 bzw. 772.
    431 Umwelt 7-8/1994, 269.
    432 BGBl. 1995 II, 52.
    433 BGBl. 1995 II, 53.
    434 BGBl. 1995 II, 59.
    435 BGBl. 1995 II, 61 bzw. 64.