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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


VIII. Ausländer

1. Ausländerrecht

    38. Erhebliche Aufmerksamkeit wurde im Berichtszeitraum den Rücknahmeübereinkommen der Bundesrepublik mit anderen Staaten zuteil.
    Nach der Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage verlief die Umsetzung des deutsch-vietnamesischen Rücknahmeabkommens vom 21. Juli 1995 bis zu diesem Zeitpunkt unbefriedigend.98 Dies sei zum einen darauf zurückzuführen, daß die vietnamesische Seite die Umsetzung des Rücknahmeabkommens verzögere. So seien bestimmte Verfahrensabsprachen, wie die im Abkommen vorgesehenen Prüfungsfristen von der vietnamesischen Seite nicht eingehalten worden. Auch habe Vietnam die Beachtung von weiteren Verfahrensmodalitäten gefordert, wie etwa detaillierte Angaben zum früheren Wohnsitz in Vietnam, die nicht Gegenstand des Rücknahmeabkommens seien. Zum anderen sei festzustellen, daß rückzuführende vietnamesische Staatsangehörige, deren Rücknahme die vietnamesische Seite zugestimmt habe, oftmals nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt zurückgeführt werden könnten, da sie sich zwischenzeitlich durch Untertauchen oder durch die nicht kontrollierte Ausreise der Abschiebung entzogen hätten. In Gesprächen von Staatssekretär Schelter in Vietnam auf der Grundlage des deutsch-vietnamesischen Rücknahmeabkommens und der Vereinbarung über die Rückführung von Straftätern ist vereinbart worden, daß ein Verbindungsbeamter des Bundeskriminalamtes nach Hanoi entsandt werde. Um die Identifikation vietnamesischer Straftäter in Deutschland zu erleichtern, solle eine Telebildverbindung nach Hanoi installiert werden, mit deren Hilfe daktyloskopische Unterlagen (Fingerabdrücke) zur Auswertung nach Vietnam übermittelt werden könnten.99 Auf die Kleine Anfrage, wie hoch die aktuellen Gegenwertmittel, die entsprechend Art. 3 Abs. 4 des Protokolls zum deutsch-vietnamesischen Rücknahmeübereinkommen ausgezahlt würden, seien, erklärte die Bundesregierung,100 im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung von vietnamesischen Rückkehrern aus der Bundesrepublik Deutschland sei in Vietnam 1995 im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit 10 Mio. DM Warenhilfe als Zuschuß zugesagt worden. Dabei sei - ausschließlich für diese Maßnahme - vereinbart worden, daß die aus dieser Warenhilfe entstehenden Einnahmen (nehmereigene Gegenwertmittel) für Kosten verwendet würden, die in Vietnam in Zusammenhang mit der Rückführung und Wiedereingliederung von vietnamesischen Staatsbürgern aus der Bundesrepublik Deutschland anfielen.101
    Die Bundesregierung teilte auf eine entsprechende schriftliche Parlamentarische Anfrage mit, daß in der dritten Verhandlungsrunde vom 23./24. Januar 1996 in Bonn über den Abschluß eines Rücknahmeabkommens mit Algerien inhaltlich über die Rücknahmefrage Übereinstimmung erzielt worden sei. Diese habe sich in einem "Gesprächsprotokoll über die Zusammenarbeit bei der Identifizierung und Rücknahme von sich illegal aufhaltenden algerischen Staatsangehörigen zwischen den Delegationen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksrepublik Algerien" niedergeschlagen. Bei den Verhandlungen mit Algerien sei allein die Frage des Inkrafttretens des Rücknahmeprotokolls noch offengeblieben, da die Art und Weise seiner rechtsförmlichen Umsetzung noch klärungsbedürftig sei. Bislang habe die Bundesregierung in derartigen Fällen ein Ressort- und Regierungsabkommen abgeschlossen. Hierzu zeige sich die algerische Seite nicht bereit. Die Bundesregierung habe in diesem Zusammenhang stets betont, auch mit Abschluß in Form eines Briefwechsels der zuständigen Minister einverstanden zu sein, und habe der algerischen Bundesregierung inzwischen einen schriftlichen Vorschlag für eine Inkrafttretensregelung unterbreitet.102
    In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zum Stand der Umsetzung des deutsch-polnischen Rücknahmeabkommens und der Unterstützung der polnischen Asylverwaltung durch deutsche Institutionen und Finanzmittel, führte die Bundesregierung aus:103 Von der im deutsch-polnischen "Abkommen über die Zusammenarbeit hinsichtlich der Auswirkungen von Wanderungsbewegungen" (Zusammenarbeitsabkommen) vom 7. Mai 1993 vereinbarten Finanzhilfe in Höhe von 120 Mio. DM habe die Republik Polen nach den bis zum 30. September 1996 vorliegenden Informationen 38,3 Mio. DM ausgegeben. Seit Inkrafttreten des deutsch-polnischen Rücknahmeabkommens vom 7. Mai 1993 habe Polen insgesamt 22.378 Personen zurückgenommen. Über die Zahl der Personen, die Polen seit dem Inkrafttreten des Rücknahmeübereinkommens auf Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland durchbefördert habe, würden keine statistischen Anschreibungen geführt. Nach polnischen Angaben stellten im Jahre 1993 830 Personen, im Jahre 1994 ca. 800 Personen, im Jahre 1995 842 Personen und im Jahre 1996 bis April 438 Personen in Polen einen Asylantrag. Wieviele davon Rücknahmefälle aus der Bundesrepublik Deutschland waren und wieviele hier als asylberechtigt anerkannt worden seien, sei der Bundesregierung nicht bekannt.
    Bilaterale Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien, die ausdrücklich die Ausweisung und Abschiebung von straffälligen rumänischen Staatsangehörigen beträfen, gibt es nach Auskunft der Bundesregierung bislang nicht.104

    39. Die 7. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des AuslG vom 14. November 1996 bestimmt, daß die Durchführungsverordnung dahin gehend geändert wird, daß in der Anlage III nach Sri Lanka Sudan eingefügt wird.105

    40. Im Rahmen ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage stellte die Bundesregierung fest, daß die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung von Ausländern ohne erforderliche Arbeitserlaubnis, die Ausübung einer Beschäftigung durch Ausländer ohne erforderliche Arbeitserlaubnis, die Schwarzarbeit von Ausländern und Leistungsmißbrauch zum Nachteil der Arbeits- und Sozialverwaltung zugleich gemäß § 60 Abs. 2 in Verbindung mit § 46 des Ausländergesetzes einen Ausweisungsgrund darstellten, so daß Ausländer bei Vorliegen entsprechender Verdachtsmomente an der Grenze zurückgewiesen werden könnten.106 Vor diesem Hintergrund komme gezielten Kontrollen potentieller ausländischer Arbeitnehmer an der Grenze eine wichtige Bedeutung zu. Im Rahmen dieser Früherkennung bei Gelegenheit der grenzpolizeilichen Kontrolle habe der BGS schon seit vielen Jahren gemeinsam mit der Arbeitsverwaltung an anerkannten Brennpunkten Überprüfungen durchgeführt. Diese erbrachten in den Jahren 1992 bis 1995 stetig steigende Aufgriffsquoten.

    41. Auf die Große Anfrage zur Situation der Bundesrepublik als Einwanderungsland nahm die Bundesregierung wie folgt Stellung:107 Deutschland betreibe keine aktive Politik der Aufnahme von Ausländern mit dem Ziel ihrer dauerhaften Niederlassung. Das sei auch in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Sowohl die Bundesregierung als auch die ausländischen Arbeitnehmer seien zu Beginn der Anwerbung im Jahr 1955 von einem zeitlich begrenzten Aufenthalt ausgegangen. Die Bundesregierung verkenne jedoch nicht, daß unter den in Deutschland lebenden Ausländern viele seien, die sich auf einen dauernden Aufenthalt eingerichtet hätten. Deutschland habe auch heute keinen Bedarf für einen weiteren Zuzug von Ausländern. In diesem Zusammenhang sei auf den übergreifenden Konsens der Parteien hinzuweisen, die im Bund Regierungsverantwortung getragen hätten oder trügen. Schon im Jahre 1973 hätten Bund und Länder gemeinsam entschieden, daß eine weitere Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer grundsätzlich nicht mehr erfolgen solle. Am 11. November 1981 habe das Bundeskabinett festgelegt, daß für Ausländer, die aus Staaten außerhalb der EU kämen, ein weiterer Zuzug verhindert werden solle. Am 3. Februar 1982 habe die damalige Bundesregierung beschlossen: Nur durch eine konsequente und wirksame Politik zur Begrenzung des Zuzugs aus Ländern, die nicht Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft sind, lasse sich die unverzichtbare Zustimmung der deutschen Bevölkerung zur Ausländerintegration sichern. Diese Grundposition sei von allen nachfolgenden Regierungen aufrecht erhalten worden. Sie sei durch den Asylkompromiß vom 6. Dezember 1992 bestätigt worden. Längerfristige Prognosen seien in diesem Bereich mit nicht unerheblichen Unsicherheiten behaftet. Nach verschiedenen Modellrechnungen werde die Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 2040 einen sehr starken Bevölkerungsrückgang hinzunehmen haben. Bei allgemeinen Überlegungen zu einer Steuerung und Begrenzung des Zuzugs dürfe nicht außer Acht gelassen werden, daß es nach wie vor einen hohen Zuzug von Asylbewerbern, Bürgerkriegsflüchtlingen und auch von Spätaussiedlern gebe. Darüber hinaus sei der Familiennachzug und der Zuzug von Unionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten der EU zu berücksichtigen. Aussiedlerfragen seien von der Ausländerpolitik zu trennen. Mit der weiteren Aufnahme von Spätaussiedlern werde der besonderen historischen Entwicklung der gegenwärtigen, oftmals nicht einfachen Situation dieser Personengruppe Rechnung getragen. Daneben gebe es Gruppen von Ausländern, denen auch künftig ein legaler Zuzug zu gestatten sei. Dies gelte insbesondere für den Nachzug von Ehegatten und Kindern. Auch sei darauf hinzuweisen, daß EU/EWR-Ausländer nach EU-Recht weitgehend Freizügigkeit genössen. Aus der weltweit zunehmenden Migration ziehe die Bundesregierung die Folgerung, daß alles unternommen werden müsse, um den Zuzug in die Staaten der EU und auch nach Deutschland zu steuern und zu begrenzen. Dies gelte im ganz besonderen Maße für die Verhinderung illegaler Einreisen mit dem Ziel der dauernden Niederlassung. Der europäische Einigungsprozeß mache es notwendig, daß die Lösung der Problematik nicht in nationalen Alleingängen bewältigt werde, sondern nur in enger Abstimmung mit den Partnerstaaten der EU. Hierzu sei insbesondere auf die enge Zusammenarbeit im Rahmen des sog. dritten Pfeilers des EU-Vertrages zu verweisen. Der Rat der Justiz- und Innenminister der EU habe die restriktive Haltung in einer Reihe von Entschließungen bestätigt und auf eine europäische Grundlage gestellt. Neben der Begrenzung des Zuzugs aus Staaten außerhalb der EU und des europäischen Wirtschaftsraums sei die Politik der Bundesregierung in gleicher Weise auf die Integration der rechtmäßig in Deutschland lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen unter Einfluß der anerkannten Flüchtlinge gerichtet.108

    42. Nach Angaben der Bundesregierung haben bisher Dänemark, Italien, die Niederlande, Norwegen, Schweden und das Vereinigte Königreich das Europäische Übereinkommen über die Teilnahme von Ausländerinnen und Ausländern am öffentlichen Leben der Gemeinden unterzeichnet.109 Bisher sei es jedoch nur von Italien, Norwegen und Schweden ratifiziert worden. Die Bundesregierung habe die Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Zeichnung und Ratifizierung des Übereinkommens gegeben seien, noch nicht abgeschlossen. Die Gründe hierfür habe die Bundesregierung in ihrem Bericht über den Stand der Unterzeichnung und Ratifizierung europäischer Abkommen und Konventionen durch die Bundesrepublik Deutschland vom 29. April 1994110 dargelegt. Ob die Bundesregierung das Übereinkommen zeichnen und dem Deutschen Bundestag zur Ratifizierung vorlegen werde, hänge vom Ausgang der von der Bundesregierung eingeleiteten Prüfung ab. Der deutsche Vertreter habe im Ministerkomitee bei der Entscheidung über die Annahme des Übereinkommens und Auflegung zur Zeichnung die Ablehnung des Kapitels C durch die Bundesrepublik Deutschland erklärt; hinsichtlich der Kapitel A und B habe er sich nicht geäußert. Die Bundesregierung unterstütze alle Bemühungen auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene, die Integration der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer zu verbessern. Auf die Bemühungen der Bundesregierung zur Erleichterung der Einbürgerung von Ausländern und auf die Arbeit der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer werde verwiesen.

    43. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage zu tödlichen, gefährlichen und menschenunwürdigen Abschiebepraktiken, legte die Bundesregierung dar, die Vielseitigkeit der Widerstandshandlungen erlaube es nicht, für jede denkbare Fallgestaltung allgemein gültige Aussagen zu treffen. Zwangsmittel dürften nur angewendet werden, wenn sie erforderlich und zur Erreichung des mit der Maßnahme angestrebten Zieles geeignet und angemessen sein. An dienstlichen Mitteln zur Fesselung von gewalttätigen rückzuführenden Personen stünden dem Bundesgrenzschutz Leibfesseln, Handschellen, Klettbänder und Plastikhandfesseln zur Verfügung. Besondere Ausnahmesituationen könnten ein situationsbedingtes Handeln unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und somit den Einsatz sonstiger Hilfsmittel erfordern. Systematische Aufzeichnungen über verwandte Fesselungsmittel würden beim BGS nicht geführt. Es würden keine Medikamente zu Abschiebungszwecken verabreicht. Über die Flugtauglichkeit einer abzuschiebenden Person entschieden die die Rückführungsmaßnahme durchführenden Polizeibeamten aufgrund des Allgemeineindruckes des Ausländers. Ein Arzt entscheide bei Auffälligkeiten oder bei Klagen des Ausländers über Beschwerden. Der Flugkapitän könne rückzuführende Personen von der Beförderung ausschließen, wenn ihm Hinweise auf deren Fluguntauglichkeit vorlägen.111

    44. Die Bundesregierung beantwortete die Kleine Anfrage zum Verhältnis des Bundesministeriums des Innern zu türkischen Organisationen in Deutschland dahin gehend, daß die Entscheidung, ob das Bundesministerium des Innern Gespräche mit einer bestimmten türkischen Organisation führe, von Fall zu Fall getroffen werde. Aus diesem Grunde gebe es keinen Katalog von Kriterien, die der Entscheidung zugrunde gelegt würden, ob im Einzelfall ein solches Gespräch geführt werde. Fest stehe lediglich, daß keine Gespräche mit Organisationen geführt würden, die die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele bejahten und damit nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen repräsentierten. Aus dieser Bewertung ergebe sich im Gegenschluß, daß Gesprächspartner nur solche Organisationen seien, die - wie in der Presseerklärung vom 26. Juli 1996 ausgeführt - "die überwältigende Mehrheit der friedliebenden türkischen Bürger vertreten." Das Eingehen auf einen Gesprächswunsch setze allerdings voraus, daß auch ausreichender Gesprächsbedarf bestehe. Das Bundesministerium des Inneren habe in letzter Zeit vor allem Gespräche mit dem Rat der türkischen Staatsbürger in Deutschland (RTS) und der türkischen Gemeinde in Deutschland e.V. (TID) geführt. In der Vergangenheit seien keine Gespräche mit Organisationen geführt worden, deren Mitglieder ausschließlich türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit seien. Aus dem Umstand, daß bisher von seiten des Bundesministeriums des Inneren keine derartigen Gespräche geführt worden seien, könne nicht geschlossen werden, daß solche Gespräche grundsätzlich abgelehnt würden.112



    98 BT-Drs. 13/4901.
    99 Innenpolitik vom 30.8.1996, 15.
    100 BGBl. II 1995, 744: "Die deutsche Seite erklärt sich damit einverstanden, daß eine von der vietnamesischen Seite beabsichtigte ärztliche Untersuchung aus Anlaß der Übernahme in Vietnam aus Gegenwertmitteln, die aus Zusagen im Rahmen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der Sozialistischen Republik Vietnam und der Bundesrepublik Deutschland entstehen, finanziert wird."
    101 BT-Drs. 13/3795.
    102 BT-Drs. 13/5630, 6.
    103 BT-Drs. 13/6212.
    104 BT-Drs. 13/3474, 9.
    105 BGBl. I 1996, 1727.
    106 BT-Drs. 13/6508.
    107 BT-Drs. 13/5065.
    108 BT-Drs. 13/5065.
    109 BT-Drs. 13/6046.
    110 BT-Drs. 12/7469, zu Nr. 144.
    111 BT-Drs. 13/4267.
    112 BT-Drs. 13/5599.