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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


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Volker Röben


XV. EG und EU

1. Europäische Gemeinschaften

    143. Nach der Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende schriftliche Parlamentarische Anfrage ist sie auf der Regierungskonferenz (Maastricht II) für eine Neufassung des Art. 148 EGV eingetreten, mit der für Beschlüsse, für die eine qualifizierte Mehrheit vorgesehen sei, eine Doppelschwelle in Form der doppelten Mehrheit eingeführt würde. Ratsbeschlüsse sollten danach nur dann zustande kommen, wenn wie bisher der Beschluß von der qualifizierten Mehrheit der Stimmen im Rat getragen werde und wenn zusätzlich hinter dieser qualifizierten Mehrheit im Rat eine ausreichende, noch zu definierende Mehrheit der Bevölkerung stehen würde. Damit solle eine bessere Übereinstimmung zwischen der Bevölkerungszahl eines Mitgliedstaates und der ihm im Rat zustehenden Stimmenzahl erreicht werden.277

    144. Die Bundesregierung legte im Rahmen ihrer Antwort auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage dar, daß eine Aufhebung der generellen Visumpflicht gegenüber Bulgarien (gemeinsame Liste gemäß Art. 1 der Verordnung des Rates der Europäischen Union vom 25. September 1995 zur Bestimmung der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein müssen)278 bisher von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für verfrüht gehalten werde. Dies sei auch die Auffassung der Bundesregierung. Die Bundesrepublik Deutschland habe allerdings - als erster Schengenstaat - kürzlich die Visumfreiheit für Inhaber bulgarischer Diplomatenpässe eingeführt.279

    145. Zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinien Arbeitsschutz und weitere Arbeitsschutzrichtlinien brachte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf an das Parlament ein. Ziel des Gesetzes ist die vollständige Umsetzung von EG-Richtlinien zum betrieblichen Arbeitsschutz. Die Umsetzung erfolgt durch ein Artikelgesetz. Art. 1 übernimmt inhaltsgleich die materiellen Regelungen der Rahmenrichtlinien in ein neues Arbeitsschutzgesetz; es gilt für alle Tätigkeitsbereiche einschließlich des öffentlichen Dienstes. Die weiteren Artikel enthalten zur Anpassung an das EG-Recht notwendige Regelungen des Arbeitssicherheitsgesetzes, des Betriebsverfassungsgesetzes und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.280

    146. Nach § 1 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (ArbeitnehmerentsendeG) vom 26. Februar 1996281 finden die Rechtsnormen eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages des Baugewerbes auch auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland und seinem im räumlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages beschäftigten Arbeitnehmer zwingend Anwendung, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer von Leiharbeitsfirmen würden grundsätzlich nicht erteilt. Denn nach § 6 Abs. 1 Satz 2 der Arbeitserlaubnisverordnung (AEVO) sei die allgemeine Arbeitserlaubnis zu versagen, wenn der Arbeitnehmer als Leiharbeitnehmer § 1 Abs. 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) tätig werden wolle. Dessen ungeachtet setze die Erteilung einer Arbeitserlaubnis stets voraus, daß die für den Ausländer maßgebenden Arbeitsbedingungen nicht ungünstiger seien als die Arbeitsbedingungen vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer. Dazu gehöre auch, daß der Ausländer wie ein vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer entlohnt werde. Die bilateralen Regierungsvereinbarungen über die Beschäftigung ausländischer Werkvertragsarbeitnehmer aus Nicht-EU-Staaten sähen vor, daß Unternehmen, die Arbeitnehmer ohne gültige Arbeitserlaubnis beschäftigt hätten, vorübergehend von jeglicher Werkvertragstätigkeit in Deutschland ausgeschlossen werden könnten. Um Mißbräuchen bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft im Rahmen der bilateralen Regierungsvereinbarungen wirksamer begegnen zu können, habe die Bundesregierung seit Beginn dieses Jahres die Kontrollen auf den Baustellen erheblich ausgeweitet. Ausländische Firmen, die in Betriebe des Baugewerbes gewerbsmäßig Arbeitnehmer verleihen wollten, könnten keine Verleiherlaubnis erhalten. Da ausländische Betriebe nicht von den Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes erfaßt würden, sei für diese Betriebe gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung in Betriebe des Baugewerbes für Arbeiten, die üblicherweise von Arbeitern verrichtet werden, unzulässig (vgl. § 12 a des Arbeitsförderungsgesetzes, AFG). Alle Arbeitnehmer, die in Deutschland Betriebsstätten unterhalten, hätten die ihnen durch das Zweitversicherungsrecht auferlegten Pflichten zu erfüllen. Die Erfüllung dieser Pflichten durch den Arbeitgeber könne jederzeit durch die zuständigen Einzugsstellen (Krankenkassen bzw. Träger der Rentenversicherung) überprüft werden. Die Bundesregierung weist darauf hin, daß es sich bei ausländischen Arbeitnehmern, die vorübergehend von ausländischen Firmen in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt würden, auch um entsandte Arbeitnehmer handeln könne, die weiterhin den Rechtsvorschriften ihres Herkunftsstaates unterlägen.282

    147. In Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verurteilung der Bundesrepublik durch den Europäischen Gerichtshof wegen verspäteter Umsetzung der Pauschalreiserichtlinien der EG, teilt die Bundesregierung mit, daß gegenüber der Bundesrepublik Deutschland bislang insgesamt ca. 8.400 Anspruchsteller Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit der verspäteten Umsetzung der Pauschalreiserichtlinien geltend gemacht hätten. Die Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche müsse in jedem Einzelfall geprüft werden. Der Gesamtschadensumfang könne daher derzeit unter Berücksichtigung der zum Teil auch unbegründeten Forderungen nur schätzungsweise mit einem Betrag von bis zu 20 Millionen DM angegeben werden. Die Bundesregierung sei bemüht, die Reisenden, die berechtigte Ansprüche wegen der verspäteten Umsetzung geltend machten, so bald wie möglich zu entschädigen.283

    148. Die Bundesregierung unterrichtete den Bundestag durch ihren "Bericht über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1995". Der Bericht betrifft den Zeitraum vom 1. April 1995 bis 31. März 1996. Gegenstand des Berichtes sind die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die Bundesressource und die Europäische Kommission sowie die Schlußfolgerung des Europäischen Rates von Madrid. Ergänzend wird über die Haltung des Bundesrates, die Vorschläge des Sachverständigen Rates "Schlanker Staat" und die Vorstellungen der Bundesregierung für die Regierungskonferenz berichtet.284 Die Regierung habe bei der Regierungskonferenz ein Protokoll über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gemäß Art. 3 b, Abs. 2 EG-Vertrag vorgeschlagen und werde dazu einen Textentwurf einbringen. Zweck des Protokolls sei es, die in Art. 3 b, Abs. 2 EGV enthaltenen Kriterien der Subsidiarität zu präzisieren, um eine konsequente und kohärente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch die Gemeinschaftsorgane sicherzustellen.



    277 BT-Drs. 13/6056, 6.
    278 ABl. EG Nr. L 234 vom 3.10.1995.
    279 BT-Drs. 13/4334, 3.
    280 BT-Drs. 13/3540.
    281 BGBl. 1996 I, 227.
    282 BT-Drs. 13/5671.
    283 BT-Drs. 13/6081.
    284 BR-Drs. 579/96.