Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Logo Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Sie befinden sich hier: Publikationen Archiv Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland 1996

Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1996


Inhalt | Zurück | Vor

Volker Röben


IV. Staatsgebiet und Grenzen, extraterritoriale Jurisdiktion

    19. Die Bundesrepublik bestimmte ferner im Berichtszeitraum vertraglich ihre Grenzen zu Nachbarstaaten neu. Mit Vertrag vom 20. Oktober 1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Grenzberichtigungen wurde der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten neu festgelegt. Der Verlauf der Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande bestimmt sich nach den am 26. Juni 1816 in Aachen und am 7. Oktober 1816 in Kleve unterzeichneten Grenzverträgen zwischen dem Königreich Preußen und dem Königreich der Niederlande, dem am 2. Juli 1824 in Weppen unterzeichneten Grenzvertrag zwischen dem Königreich Hannover und dem Königreich der Niederlande, dem am 8. April 1960 in Den Haag unterzeichneten Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über den Verlauf der gemeinsamen Landgrenze, die Grenzgewässer, den grenznahen Grundbesitz, den grenzüberschreitenden Binnenverkehr und andere Grenzfragen (Grenzvertrag und erster Grenzberichtigungsvertrag vom 30. Oktober 1980). Gemäß Art. 3 des Grenzvertrages vom 8. April 1960 ist eine Grenzkommission eingesetzt worden, die befugt ist, geringfügige Grenzberichtigungen vorzuschlagen. Die Kommission hatte einer Reihe von Grenzberichtigungen vorgeschlagen, über die die Vertragspartner Einvernehmen erzielt haben.56
    Erstmals seit dem Jahre 1919 soll zwischen Deutschland und Tschechien eine Vereinbarung über den Verlauf der gesamten gemeinsamen Grenze in Kraft treten. Die Bundesregierung legte zu diesem Zweck dem Parlament den Entwurf eines Ratifizierungsgesetzes zu dem im November 1994 zwischen Bonn und Prag geschlossenen Grenzvertrag vor.57 Der Vertrag stützt sich für den sächsischen Teil der Grenze auf eine Dokumentation des 1980 zwischen der damaligen DDR und der seinerzeitigen CSSR abgeschlossenen Grenzvertrages. Für den bayrischen Teil der Grenze muß nach Auffassung der Bundesregierung das neue Urkundenwerk nach seiner Fertigstellung durch einen weiteren Staatsvertrag völkerrechtlich Verbindlichkeit erlangen. Der Bundesrat hatte keine Bedenken geltend gemacht.58

    20. Die Bundesregierung bewertet das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) insgesamt als einen Erfolg.59 Zu den nationalen Verpflichtungen, die sich aus dem Schengener Abkommen ergäben, zähle in Deutschland die Verstärkung der Kontrollen an den Außengrenzen zu Polen und der Tschechischen Republik. In dem Grenzraum seien nun 5.000 BGS-Beamte eingesetzt. Die hohe Kontrollintensität an den Übergängen und an der grünen Grenze habe zu einer Senkung der Zahl der Aufgriffe geführt. Im Innenministerium ist mittlerweile von einem Verdrängungseffekt die Rede. Viele versuchten, über Italien und Frankreich nach Deutschland zu kommen. Deshalb seien die Kontrollen in einer 30 km breiten Zone entlang der deutsch-französischen Grenze verstärkt worden. Italien gehöre zwar zu den Schengener Vertragsstaaten, nehme aber an den Durchführungsabkommen noch nicht teil. Es sei dringend gebeten worden, die Kontrollen an seinen Seehäfen - vor allem in Bari - zu verschärfen. In der Bundesregierung verspricht man sich Fortschritte davon, daß Italien in diesem Sommer im Zuge der Harmonisierung der Vergabe von Sichtvermerken in der Europäischen Union die Visumpflicht für Serbien einführt.60 Nach Ansicht der Bundesregierung steht die Wiedereinführung von Personenkontrollen verschiedener Schengener Vertragsstaaten mit dem SDÜ im Einklang.61 Die von Frankreich über den 26. März 1995 hinaus vorübergehend fortgesetzten Personenkontrollen an den Binnengrenzen beruhten auf Art. 2 Abs. 2 SDÜ. Mit Aufhebung des Anti-Terrorplans zum Ende des Jahres 1995 seien die Überprüfungen an den gemeinsamen Grenzen im Intra-Schengen-Luft- und Seeverkehr bereits eingestellt worden. Die französische Bundesregierung habe erklärt, auch die Kontrollen an den Landgrenzen zu den Schengener Nachbarn abzubauen, sobald die grenzüberschreitende polizeiliche Kooperation als wichtige Ausgleichsmaßnahme in vollem Umfang aufgenommen sei. Die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen hierfür würden derzeit geschaffen.
    Auf eine Kleine Anfrage schätzte die Bundesregierung die niederländische Drogenpolitik ein.62 Die Niederlande nähmen sowohl hinsichtlich der Herkunft einzelner Drogen als auch im Bereich der Durchfuhr als Nachbarstaat Deutschlands eine herausgehobene Stellung ein. Derartige Auswirkungen der niederländischen Politik auf die Nachbarstaaten ließen sich auch für Belgien und Frankreich feststellen. Damit stelle die niederländische Drogenpolitik ein erhebliches Gefährdungspotential für die innere Sicherheit der Nachbarstaaten dar. Die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Schengener Durchführungsübereinkommen seien gegenüber den Niederlanden auch von Deutschland in der Vergangenheit wiederholt angemahnt worden. Um die Auswirkungen der Drogenpolitik der Niederlande zu reduzieren, erscheine Deutschland wie auch Frankreich die Verbesserung der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden essentiell. Die niederländische Drogenpolitik sei nicht neu.63 Sie sei seinerzeit von allen Schengenstaaten übereinstimmend nicht als Hindernis für den Abschluß des Durchführungsübereinkommens gewertet worden und stelle insoweit keinen nachträglichen nationalen Alleingang dar. Verhandlungsaktivitäten zur Ermittlung von Rauschgiftdealern in den grenznahen Gebieten, wie sie in Frankreich, aber auch z. B. Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen stattfänden, seien keine Grenzkontrollen und widersprächen nicht dem SDÜ. Hinsichtlich der Ausübung der polizeilichen Nacheile über die Schengener Binnengrenzen bedarf es nach Ansicht der Bundesregierung nicht zwingend zusätzlicher bilateraler Vereinbarungen.64 Die Modalitäten seien bereits in Art. 41-43 SDÜ sowie in den gem. Art. 41 Abs. 9 SDÜ abgegebenen Erklärung der Schengenstaaten festgelegt. Die Mehrzahl aller von den Ländern gemeldeten Nacheile- und Observationsfälle fänden über die Grenzen zu den Niederlanden und Belgien statt, also im Verhältnis zu denjenigen am Schengener Regime teilnehmenden Staaten, mit denen bisher noch keine Übereinkunft zu Einzelfragen der polizeilichen Zusammenarbeit abgeschlossen worden sei. Dies belege, daß die Verfolgung flüchtiger Straftäter auf das Hoheitsgebiet der Schengener Nachbarstaaten auch ohne weitere vertragliche Regelung möglich sei und funktioniere. Die Detailabkommen sähen für den Bereich der Nacheile lediglich vor, welche Stellen zu benachrichtigen seien. Solche Übereinkünfte seien mit Luxemburg am 24. Oktober 1995 und mit Frankreich am 7. Dezember 1995 getroffen worden, wobei sich die Informations- und Koordinationsaufgabe der mit der französischen Seite abgesprochenen gemeinsamen Kommissariate auch auf den Komplex der grenzüberschreitenden Observation und Nacheile erstrecke. Das Kooperationsabkommen mit den Niederlanden stehe kurz vor der Unterzeichnung. Mit Belgien seien die Verhandlungen im Gange. Gegenüber Dänemark stelle sich die Frage der polizeilichen Nacheile erst nach dem Beitritt dieses Landes zur Schengener Gruppe, der zur Zeit vorbereitet werde.
    Zur polizeilichen Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Systems erklärte die Bundesregierung, seit 1996 seien auf regelmäßigen Sitzungen der Vertragsstaaten Ansatzpunkte für eine vertiefte polizeiliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten erarbeitet worden. Die European Drug Unit (EDU) leiste darüber hinaus wichtige Vorarbeiten für die Tätigkeitsaufnahme von Europol. Es sei zu berücksichtigen, daß erst das Europolübereinkommen die Rechtsgrundlage für eine zentrale Verarbeitung personenbezogener Daten bei EDU-Europol schaffen werde.65

    21. Auf die schriftliche Parlamentarische Anfrage zur internationalen Strafbarkeit des Mißbrauchs von Kindern führte die Bundesregierung aus: Sei ein und dieselbe Straftat in mehreren Staaten mit Strafe bedroht, so falle die Prüfung, ob und wie diese Strafansprüche durchgesetzt werden sollten, jeweils ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der Justiz der betroffenen Staaten. Dem Tatortstaat obliege es, gegebenenfalls besser Sorge zu tragen, daß der Beschuldigte sich nicht der Strafverfolgung durch diesen Staat entzieht; er brauche dabei den ebenfalls bestehenden Strafanspruch des anderen Staates nicht in seine Überlegungen einzubeziehen. Habe sich der Beschuldigte aber - etwa nach Freilassung aufgrund eines richterlichen Beschlusses - der Strafverfolgung durch die Justiz dieses Staates entzogen und sich in einen anderen Staat begeben, dessen Strafrecht ebenfalls auf die Tat anwendbar sei, so obliege es diesem Staat, nach seinem Recht den eigenen Strafanspruch durchzusetzen.66

    22. Zu den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden und sich daraus ergebenden Maßnahmen legt die Bundesregierung in Beantwortung einer Kleinen Anfrage dar, der rechtliche Schutz deutscher Unternehmen gegen die US-amerikanische Sanktionsgesetzgebung beruhe vornehmlich auf der Verordnung Nr. 2271/96/EG des Rates vom 22.11.199667 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittstaat erlassener Rechtsakte (sog. Blocking Statute). Die Europäische Union beschloß ferner in Anwendung von Titel V des Vertrages über die Europäische Union am 22. November 1996 eine gemeinsame Aktion.68 Diese gemeinsame Aktion betrifft Maßnahmen zum Schutze vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen. Nach der gemeinsamen Aktion könne jeder Mitgliedstaat über die Verordnung hinaus, soweit erforderlich, Maßnahmen gegen die US-amerikanische Sanktionsgesetzgebung ergreifen, wenn sich das europäische Recht als nicht ausreichend erweise.

    "Die Bundesregierung ist ebenfalls der Auffassung, daß das 'Helms-Burton'-Gesetz wegen seiner extraterritorialen Wirkung gegen Internationales Recht verstößt. Ein Staat darf nach dem Völkerrecht Hoheitsakte grundsätzlich nur auf seinem Staatsgebiet für die seiner Jurisdiktion unterfallenen natürlichen und juristischen Personen vornehmen. Die von der USA im 'Helms-Burton'-Gesetz eingeräumte Klagemöglichkeit vor US-Gerichten gegen ausländische Gesellschaften wegen Handlungen, die diese im Ausland vorgenommen haben (Investitionen auf Kuba), und die Vollstreckung eventueller Entscheidungen in das Vermögen ausländischer Gesellschaften in den USA widersprechen diesen Grundsätzen des Völkerrechts."69
    Nach Ansicht der Bundesregierung begegnet das von den Vereinigten Staaten verabschiedete Gesetz, mit dem Handelssanktionen unter Anknüpfung an Auslandssachverhalte, im wesentlichen ausländische Investitionen in die Öl- und Gasindustrie des Irans und Libyens, verhängt werden (Iran and Libya Sanction-Act of 1996 - D'Amato-Act), ebenfalls erheblichen völkerrechtlichen Bedenken. Die Bundesregierung habe ebenso wie die Europäische Union, bei zahlreichen Demarchen - auch auf Ministerebene - ihre entschiedene Ablehnung der extraterritorialen Auswirkung der Sanktionsgesetze deutlich gemacht, die im Widerspruch zu den Grundsätzen des Völkerrechts und multilateralen Handelssystems stünden. Im Rahmen der Europäischen Union würden Gegenmaßnahmen geprüft.70



    56 Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zum Vertrag vom 20.10.1992 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Grenzberichtigungen, BT-Drs. 13/1936, BGBl. II 1996, 954.
    57 BT-Drs. 13/5020.
    58 Pressereferat Auswärtiges Amt, 11.9.1996, 83; s. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 3.11.1994 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die gemeinsame Staatsgrenze, BR-Drs. 318/96 vom 3.5.1996, BT-Drs. 13/5020.
    59 S. zum Schengen-System bereits Grote (Anm. 18), Ziff. 20.
    60 FAZ vom 14.3.1996, 7; s. hierzu auch Antwort der Bundesregierung, BT-PlPr., 85. Sitzung, 7475.
    61 Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage, BT-PlPr., 88. Sitzung, 7799.
    62 BT-Drs. 13/5145, 4.
    63 BT-PlPr., 88. Sitzung, 7801.
    64 Antwort auf eine schriftliche Parlamentarische Anfrage BT-PlPr., 94. Sitzung, 8319.
    65 BT-Drs. 13/5476, 5.
    66 BT-Drs. 13/4286, 6.
    67 ABl. EG Nr. L 309 vom 29.11.1996, 1.
    68 Ibid., 7.
    69 BT-Drs. 13/6606.
    70 BT-Drs. 13/5544, 4.