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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997


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XV. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften

3. Sonstige Entwicklungen

     210. In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage berichtet die Bundesregierung darüber, daß die Europäische Kommission seit der deutschen Vereinigung die Beihilfen zur Umstrukturierung der Wirtschaft in den Neuen Bundesländern im wesentlichen in dem Umfang genehmigt habe, in dem sie von der Bundesregierung angezeigt worden seien. Die Bundesregierung habe gegenüber der Kommission stets die Rechtsauffassung vertreten, nach der Art. 92 Abs. 2c EGV die zutreffende Rechtsgrundlage zur Genehmigung von Beihilfen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in den Neuen Bundesländern sei. Dies sei sowohl für einzelne Beihilfefälle als auch für Förderprogramme geschehen. Die Kommission habe es allerdings bisher trotz wiederholter politischer Initiativen zur Unterstützung und Durchsetzung des Rechtsstandpunktes der Bundesregierung bisher vermieden, für die Beihilfevorhaben in den Neuen Bundesländern die Bestimmung des Art. 92 Abs. 2c EGV zugunsten der Bundesrepublik anzuwenden. Sie habe allerdings den deutschen Beihilfeanträgen letztlich unter Heranziehung der Rechtsgrundlage des Art. 92 Abs. 3a und c EGV zugestimmt. Die Bundesregierung weist darauf hin, sie habe in den Maastricht-I-Verhandlungen sichergestellt, daß Art. 92 Abs. 2c EGV sowohl in den Vertrag über die Europäische Union unverändert übernommen als auch wortgleich in das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum eingefügt worden sei.394

     211. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß dringender Handlungsbedarf bestehe, um den Besoldungsabstand zwischen EG-Besoldung und nationaler Besoldung wieder in eine vernünftige Relation zu bringen, wie sie in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Kleine Anfrage betont. Sie setze sich dafür ein, daß das Verfahren der nominalen Nettoanpassung der EG-Bezüge und der Automatismus des Gehaltsanpassungsverfahrens spätestens mit Verabschiedung der neuen Methode im Jahr 2001 grundlegend geändert werde und der Rat wieder einen größeren Entscheidungsspielraum bei der Gehaltspolitik erhalte. Weiter weist sie darauf hin, daß die Versorgungsregelungen ein besonderes Problem darstellten, da aufgrund der Altersstruktur der EG-Bediensteten eine Verdoppelung der Versorgungskosten innerhalb der nächsten 10 Jahre eintreten werde. Die mangelnde Durchsetzbarkeit der Forderungen der Bundesregierung nach notwendigen Einschnitten bei den finanziellen Leistungen führt die Bundesregierung darauf zurück, daß Vorschläge zur Änderung der bestehenden Verordnungen nur die Kommission machen könne.395

     212. Im Berichtszeitraum leitete die Bundesregierung das Verfahren zum Beschluß eines Ratifizierungsgesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Mai 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung ein. Mit dem Übereinkommen wird das Ziel verfolgt, den Grundsatz "ne bis in idem" auf ausländische Urteile zu erstrecken. Das Verbot der Doppelbestrafung, das in Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes geregelt ist, galt bis zur Inkraftsetzung des Schengener Durchführungsübereinkommens nur, wenn ein Gericht der Bundesrepublik Deutschland entschieden hat, während ausländische Urteile die Strafklage nicht verbrauchten. Im Rahmen des Schengener Durchführungsübereinkommens war von der Bundesrepublik Deutschland erstmals die Erstreckung des Grundsatzes "ne bis in idem" auf ausländische Urteile vorgenommen worden. Die Art. 54-58 des genannten Übereinkommens stimmen wörtlich mit dem Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das Verbot der doppelten Strafverfolgung überein, welches darauf abzielt, den Grundsatz "ne bis in idem" über die Schengener Vertragsstaaten hinaus auf weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erstrecken. Die Bundesregierung führt in ihrer Denkschrift zu dem Übereinkommen anläßlich der Vorlage des Gesetzentwurfes aus:

"Dem Übereinkommen kommt insoweit europa- und justizpolitische Bedeutung zu. Bei der Zunahme des internationalen Personenverkehrs, der wachsenden Zahl ausländischer Arbeitskräfte und der damit verbundenen erheblichen Erweiterung der Zahl von Straftaten, an denen Ausländer beteiligt oder von denen Ausländer betroffen sind, bestehen derzeit noch zahlreiche Überschneidungen der Strafverfolgungskompetenzen verschiedener Staaten, die durch die Ratifikation des Übereinkommens verringert werden können. Der damit verbundene Souveränitätsverlust des einzelnen Staates darf in Anbetracht der erlangten Vorteile nicht überbewertet werden. Um den rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Belangen Rechnung zu tragen, beabsichtigt die Bundesregierung, bei der Ratifikation des Übereinkommens gemäß Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens zu erklären, daß die Bundesrepublik Deutschland durch Art. 1 nicht gebunden ist, wenn

a) die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wurde;

b) die Tat, die dem ausländischen Urteil zugrunde lag, eine der folgenden Strafvorschriften erfüllt hat:

aa) Vorbereitung eines Angriffskrieges (§ 80 StGB) und Aufstacheln zum Angriffskrieg (§ 80a StGB);

bb) Hochverrat (§§ 81-83 StGB);

cc) Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates (§§ 84-90b StGB);

dd) Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit (§§ 94-100a StGB);

ee) Straftaten gegen die Landesverteidigung (§§ 109-109h StGB);

ff) Straftaten nach §§ 129, 129a StGB;

gg) die in § 129a Abs. 1 Nr. 1-3 StGB aufgeführten Straftaten, sofern durch die Tat die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet worden ist;

hh) Straftaten nach dem Außenwirtschaftsgesetz;

ii) Straftaten nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen.

Die Bundesregierung beabsichtigt, insoweit außerdem zu erklären, daß in Anwendung des Übereinkommens als Tat seitens der Bundesrepublik Deutschland derjenige geschichtliche Vorgang ohne Beschränkung auf seine rechtliche Qualifikation verstanden wird, wie er in dem anzuerkennenden Urteil aufgeführt ist. Mit letzterer Erklärung wird versucht, dem in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterschiedlichen Tatbegriff Rechnung zu tragen. Vergleichbare Erklärungen wurden bereits zum Schengener Durchführungsübereinkommen abgegeben."396



    394 BT-Drs. 13/6809 vom 27.1.1997, 2-5.
    395 BT-Drs. 13/7624 vom 9.5.1997, 13 f.
    396 BT-Drs. 13/8195 vom 10.7.1997, 9 f.