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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1999


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Silja Vöneky/Markus Rau


XVII. Friedenssicherung und Kriegsrecht

3. Kollektive militärische und nicht-militärische Maßnahmen

     234. Kosovo

     Die Bundesrepublik Deutschland beteiligte sich im Berichtszeitraum am militärischen Eingreifen der NATO im Kosovo-Konflikt. Anläßlich des Beginns der Luftschläge der NATO gab Bundeskanzler Schröder am 26. März 1999 in der 31. Sitzung des Deutschen Bundestages folgende Regierungserklärung ab:

     "(...) in der Nacht zum Donnerstag hat die NATO mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien begonnen. Das Bündnis war zu diesem Schritt gezwungen, um weitere schwere und systematische Verletzungen der Menschenrechte im Kosovo zu unterbinden und um eine humanitäre Katastrophe dort zu verhindern.
     Der Bundesaußenminister, die Bundesregierung und die Kontaktgruppe haben in den letzten Wochen und Monaten nichts, aber auch gar nichts unversucht gelassen, eine friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts zu erzielen. Präsident Milomeinschaft ein ums andere Mal hintergangen. (...)
    In Rambouillet und Paris ist mehrere Wochen lang (...) hartnäckig verhandelt worden. Zu dem dort vorgelegten Abkommen, das die Menschenrechte der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, aber auch die territoriale Integrität der Republik Jugoslawien gewährleistet, gibt es nach meiner festen Auffassung keine Alternative. Das ist der Grund, warum alle Parteien diesem Abkommen hätten zustimmen müssen. (...)
     Die Vertreter der Kosovo-Albaner haben dem Abkommen von Rambouillet schließlich zugestimmt. Einzig die Belgrader Delegation hat durch ihre Obstruktionspolitik alle, aber auch wirklich alle Vermittlungsversuche scheitern lassen. Sie allein trägt die Verantwortung für die entstandene Lage.
     Gleichzeit hat das Milomenschliches Leid ist die Folge dieser Politik. (...) Es w�re zynisch und verantwortungslos gewesen, dieser humanitären Katastrophe weiterhin tatenlos zuzusehen.
     Bis zuletzt hat sich die Staatengemeinschaft bemüht, dem Morden auf diplomatischem Wege Einhalt zu gebieten. (...) Wir hatten deshalb keine andere Wahl, als gemeinsam mit unseren Verbündeten die Drohung der NATO wahr zu machen und ein deutliches Zeichen dafür zu setzen, daß wir als Staatengemeinschaft die weitere systematische Verletzung der Menschenrechte im Kosovo nicht hinzunehmen bereit sind. (...)
     Wir alle wissen, daß dies das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist, daß deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz stehen. Ich darf ihnen deshalb versichern, daß die Bundesregierung sich ihre Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Aber wir sind uns einig und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung und, Gott sei Dank, auch mit der großen Mehrheit des Deutschen Bundestages - über alle Parteigrenzen hinweg. (...)
     Die Verantwortung für die entstandene Lage trägt allein die extremistische Belgrader F�hrung. Es liegt in ihrer Hand, die Milit�roperation unverz�glich zu beenden. Auch von dieser Stelle - aus dem Deutschen Parlament heraus - fordere ich deshalb Pr�sident Milound das Friedensabkommen zu unterzeichnen. (...) Die NATO und die internationale Gemeinschaft insgesamt sind unverändert bereit, mit Zustimmung der Streitparteien mitzuhelfen, das Abkommen von Rambouillet umzusetzen. Wir sind auch bereit, für die militärische Absicherung eines Waffenstillstandes einzutreten."722

     In der 32. Sitzung des Deutschen Bundestages erklärte Bundeskanzler Schröder am 15. April 1999 in bezug auf die aktuelle Lage im Kosovo:

     "Gemeinsam mit unseren Partnern kämpfen wir im Kosovo für unsere Werte: für Menschenrechte, für Freiheit und für Demokratie. Bei unserem Engagement geht es auch darum, wie das Europa des nächsten Jahrhunderts aussehen soll. Wollen wir Europäer es nach den Erfahrungen mit zwei schrecklichen Weltkriegen in diesem Jahrhundert wirklich zulassen, daß Diktatoren unbehelligt mitten in Europa wüten können?
     Die Bundesregierung hat klare Vorstellungen, die sie gemeinsam mit ihren Partnern verfolgt. Wir wollen die humanitäre Katastrophe und die schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen möglichst schnell beenden. Wir wollen eine friedliche politische Lösung für den Kosovo erreichen.
     Klar bleibt dabei: Die Bundesregierung wird auch weiterhin mit ihren Partnern in der NATO und in der EU fest zusammenstehen und Gewalt gegen unschuldige Menschen nicht hinnehmen. (...)
     Der Bundesregierung und allen NATO-Partnern ist natürlich bewußt, daß die jetzige Krisenbewältigung im Kosovo eine längerfristige Stabilisierungspolitik für Südosteuropa nicht ersetzen kann. Unsere Politik richtet sich nicht gegen die Menschen in Jugoslawien. Wir wollen ihnen vielmehr eine Perspektive und die Zuversicht geben, daß sie zu Europa gehören. (...)
     Die Staats- und Regierungschefs stimmen in der Auffassung überein, daß es jetzt an den jugoslawischen Behörden liegt, die internationalen Forderungen ohne Abstriche anzunehmen und umgehend mit ihrer Umsetzung zu beginnen. Dies - nur dies und nur in dieser Reihenfolge - würde eine Suspendierung der militärischen Maßnahmen der NATO erlauben und den Weg für eine politische Lösung öffnen. Dies und nur dies ist auch Gegenstand der Vorschläge, die der deutsche Außenminister entworfen, gemacht und eingebracht hat. (...)
     Wir werden uns für die Verabschiedung dieser Prinzipien in einer Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen unter Kapitel VII einsetzen."723

     Auch in seiner Rede anläßlich der Eröffnung der Hannover Messe 1999 am 18. April 1999 ging Bundeskanzler Schröder auf den Kosovo-Konflikt und das Eingreifen der NATO ein. Schröder erklärte:

     "Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind deutsche Soldaten wieder in einem militärischen Einsatz. Natürlich hat das in unserer Gesellschaft, hat das in Deutschland viele grundsätzliche Fragen aufgeworfen und treibt es viele Menschen in unserer Gesellschaft um - die Bundesregierung und den Bundeskanzler eingeschlossen.
     Es war wahrlich keine leichte Entscheidung, die wir zu treffen hatten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer - der deutschen - Geschichte. (...) Wir hatten die Wahl, ob wir es am Ausgang dieses blutigen Jahrhunderts und zu Beginn eines neuen Jahrhunderts zulassen wollen, daß eine Flugstunde von hier entfernt Menschenrechte buchstäblich mit den Füßen getreten werden, oder ob wir im Rahmen der Staatengemeinschaft, im Rahmen der NATO, als letztes Mittel - als alle politischen Möglichkeiten, deren es genug gegeben hat, versagt hatten - mit unseren Partnern in der Allianz zusammen zu militärischen Maßnahmen greifen sollten. Wir hatten keine Wahl, wenn wir den Werten, denen wir uns verpflichtet fühlen und denen sich die Allianz verpflichtet fühlt, gerecht werden wollten.
     Deswegen haben wir so entschieden. Deswegen steht diese Entscheidung ohne Wenn und Aber bis diesen Werten nachgekommen ist, bis die substantiellen Forderungen der NATO, der Staatengemeinschaft, von Milosevic nicht nur akzeptiert worden sind, sondern bis begonnen worden ist, sie umzusetzen. (...)
     Es gibt viele Einwände gegen diese feste und fortdauernde Haltung der Bundesregierung. Zum Beispiel der Einwand: 'Warum ausgerechnet deutsche Soldaten vor dem Hintergrund der Geschichte, vor dem Hintergrund der Tatsache, daß deutsche Soldaten während des Faschismus auf dem Balkan gewütet und schlimmes Unheil angerichtet haben?' Das ist eine berechtigte Frage, aber man kann das genauso gut umgekehrt sehen: Gerade weil wir eine unheilvolle Geschichte in dieser Region hinter uns haben, sind wir verpflichtet, zusammen mit unseren Partnern für die Menschenrechte zu kämpfen.
     Damit bin ich beim zweiten Einwand, den ich höre: 'Mußten Deutsche dabei sein zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg? Mußtet ihr das entscheiden?' Ja, wir mußten. Deutschland als ein geteiltes Land konnte darauf verweisen, daß es bei militärischen Auseinandersetzungen der NATO eine andere Rolle einnehmen konnte. Seit wir die staatliche Einheit haben realisieren können (...) gibt es diesen Einwand nicht mehr. (...)
     Ein dritter Einwand lautet: 'Ihr habt kein Ziel.' Das ist falsch (...) Die militärischen Maßnahmen, an denen wir uns beteiligen, sind nicht Selbstzweck, sondern sie sind Mittel zum Zweck. Sie dienen einem einzigen Zweck, nämlich die substantiellen Forderungen, die ich genannt habe, zu realisieren. Wir haben in dieser Woche in Brüssel in dieser Frage erneut eine klare Haltung der gesamten EU - einschließlich der neutralen Länder - erreicht, die sich in voller Übereinstimmung mit der Position der NATO befindet. Wir haben auch erreicht (...), daß sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen die substantiellen Forderungen der Staatengemeinschaft zu eigen gemacht hat. Auf diese Weise ist deutlich geworden, daß die gesamte zivilisierte Welt hinter diesen Positionen steht. Mehr an Legitimation für politisches Handeln läßt sich kaum beschaffen."724

     Das militärische Eingreifen der NATO im Kosovo war ferner auch Gegenstand der Erklärung von Bundeskanzler Schröder zum 1. Mai. In der Erklärung heißt es:

     "Die Entwicklung im Kosovo beherrscht wie kein anderes Thema die öffentliche Diskussion. Kein anderes Thema bewegt die Menschen in unserem Land derzeit mehr als die Lage auf dem Balkan. Wir Deutsche haben gemeinsam mit unseren Partnern in der NATO Verantwortung übernommen, um Frieden, Demokratie und Menschenrechte im Kosovo durchzusetzen. Wir wollen gemeinsam mit unseren Partnern das Morden und die Vertreibung im Kosovo stoppen. Wir wollen eine politische Lösung für ein friedliches und demokratisches Kosovo.
     Dafür hat die Bundesregierung jede denkbare diplomatische und politische Initiative ergriffen. Ihre Vorschläge machten sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf dem informellen Gipfel in Brüssel zu eigen, und sie fanden Eingang in den Beschlüssen auf dem Gipfel der NATO in Washington. Der deutsche Vorschlag zur Entwicklung eines Stabilitätspaktes für die Balkanstaaten hat dabei breite Unterstützung gefunden.
     Die Forderungen der internationalen Gemeinschaft zur Lösung des Kosovo-Konflikts liegen auf dem Tisch: Rückzug der serbischen Militär- und Polizeikräfte sowie der Sondereinheiten, Rückkehr der Flüchtlinge unter dem Schutz einer internationalen Friedenstruppe in ihre Heimat."725

     Im Rahmen der Haushaltsdebatte in der 38. Sitzung des Deutschen Bundestages nahm Schröder am 5. Mai 1999 abermals Bezug auf die Luftschläge der NATO:

     "Das Motiv ist, das Morden im Kosovo zu beenden. Das ist das einzige, das entscheide Motiv, das wir haben. Die militärischen Mittel, die wir dazu einsetzen, die die gesamte westliche Staatengemeinschaft dazu einsetzt, sind nicht Selbstzweck. (...) Sie sind ausschließlich Mittel zu einem einzigen Zweck: das Morden im Kosovo zu beenden. (...) Niemand - das gilt es zu erkennen - hier im Deutschen Bundestag hatte ein irgendwie geartetes Interesse daran, aus einem anderen Motiv als dem, das ich genannt habe, zu diesen militärischen Mitteln zu greifen. Als Folge dessen gilt: Sobald die militärischen Mittel nicht mehr eingesetzt werden müssen, weil der Zweck, zu dem sie eingesetzt werden, erreicht ist oder auf andere Weise erreicht werden kann, wird das geschehen. Die NATO, die Deutsche Bundesregierung und das Deutsche Parlament bis auf die eine Ausnahme hatten doch nur eine einzige Strategie, nämlich das Morden zu beenden. Sie wäre froh gewesen, das ohne militärische Mittel zu können.
     So aber war die Situation nicht. Deswegen hatten wir zu einer Doppelstrategie zu greifen: auf der einen Seite der Not gehorchen und die Nothilfe im wahrsten Sinne des Wortes handelnd, um Not von Menschen im Kosovo zu wenden - um Not zu wenden, haben wir in Nothilfe und zugleich auf der Basis von Sicherheitsratsbeschlüssen gehandelt. Deswegen ist es wirklich falsch, die völkerrechtliche Legitimation dieses Handelns dauernd in Frage zu stellen."726

     Am 8. Juni 1999 erklärte Bundeskanzler Schröder in der 41. Sitzung des Deutschen Bundestages zum Eingreifen der NATO im Kosovo:

     "Belgrad muß jetzt einem detaillierten Abzugsplan für die jugoslawischen Sicherheitskräfte zustimmen. Ansonsten werden die Flüchtlinge nicht in Sicherheit und ohne Furcht in ihre Heimat zurückkehren können. Erst wenn ein vollständiger Abzug begonnen hat, können die Luftschläge der NATO gegen Jugoslawien ausgesetzt werden."727

     Zur Rolle der Bundeswehr innerhalb der Kosovo-Krise führte Schröder aus:

     "Die Bundeswehr hat sich in den vergangenen Wochen nicht nur an den militärischen NATO-Operationen im Rahmen unserer Bündnissolidarität, sondern auch in vorbildlicher Weise an der Hilfe für hunderttausende von Flüchtlingen in Mazedonien und Albanien beteiligt. Sie hat sich hierdurch großen Respekt und den Dank der Menschen in der Region, aber auch bei den vielen internationalen zivilen Helfern, erworben. Dafür möchte ich den Soldaten der Bundeswehr noch einmal herzlich danken und ihnen meine und, so denke ich, unser aller Anerkennung aussprechen.
     Die Bundeswehr wird ihre Tätigkeit im Dienst für den Frieden im Kosovo gemäß den Beschlüssen dieses hohen Hauses fortsetzen. Sie sollten ihre Erfahrungen von Anfang an in der internationalen Friedenstruppe nutzbar machen und so für ein stabiles und sicheres Umfeld für die zurückkehrenden Flüchtlinge sorgen. Ich habe keine Zweifel daran, daß die Bundeswehr bestens auf die ihr bevorstehenden Aufgaben vorbereitet ist."728

     In seiner Rede äußerte sich Schröder auch zum Schutz der Zivilbevölkerung vor den Angriffen der NATO:

     "Wir haben gemeinsam mit den NATO-Partnern von Anfang an klargestellt, daß sich die Militäraktionen nicht gegen das serbische Volk richten und daß wir alles tun werden, Verluste unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Aber doch - gleichsam ohne die Möglichkeit, dies zu verhindern - hat es unschuldige Opfer gegeben. Ich bedaure dies zutiefst und bin mir bewußt, daß es für die Opfer und ihre Familienangehörigen keine zufriedenstellende Erklärung sein kann, wenn ich darauf hinweise, daß die Belgrader Führung die volle Verantwortung für die Konsequenzen der militärischen Auseinandersetzung zu tragen hatten.
     Für mich gibt es keinen Zweifel, daß die NATO-Intervention im Kosovo zwingend notwendig war. Dabei will ich einräumen, daß die Verteidigung der Menschenrechte von Regierenden Maßnahmen verlangt, durch die der Handelnde auch Schuld auf sich lädt. Auch der, der nicht handelt, würde in dieser Situation Schuld auf sich laden. Ich bin sicher, nicht gehandelt zu haben, hätte zu noch größerer Schuld geführt, nämlich der Schuld unterlassener Hilfeleistung für bedrängte und gequälte Menschen."729

     Anläßlich der offiziellen Eröffnung des Sitzes der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 2. September 1999 in Berlin erklärte Bundeskanzler Schröder schließlich:

     "Eine entscheidende Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte war für uns alle die Wiederkehr des Krieges nach Europa. Auf dem Balkan standen zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder deutsche Soldaten in einem Kampfeinsatz. So jedenfalls könnte es ein unpolitischer Chronist darstellen, und so haben wir es auch aufgeschrieben bekommen.
     Ich sehe es eher so, daß zum ersten Mal - zumindest in diesem Jahrhundert - deutsche Soldaten für wahrhaft europäische Werte gekämpft haben - und das ist ein Unterschied.
     Nicht für einen verblendeten Nationalismus, nicht zur Eroberung fremder Länder, nicht in Verfolgung strategischer oder angeblich strategischer Interessen, sondern für eines der höchsten Ziele überhaupt: für die Rettung von Menschenleben und für die Wahrung von Menschenrechten.
     Für mich persönlich war die Entscheidung zur uneingeschränkten Teilnahme an diesem Einsatz der NATO die schwerste, die ich bisher zu treffen hatte. Sie war nicht Gegenstand meiner Lebensplanung. Angesichts der schrecklichen Vorkommnisse im Kosovo mußte die NATO, mußte Deutschland an der Seite der Verbündeten eingreifen, um Mord, Vertreibung und schwerste Menschenrechtsverletzungen möglichst schnell zu beenden.
     Die militärische Entschlossenheit der Allianz war in diesem Konflikt so entscheidend wie die Entschlossenheit der internationalen Staatengemeinschaft. Ohne beides wäre alles nicht möglich gewesen. Beides zusammen aber hat Belgrad schließlich zum Rückzug veranlaßt. Aber ohne ein politisches Konzept wäre jede Militäraktion zum Scheitern verurteilt gewesen. Deshalb hat die Bundesregierung im Rahmen und mit dem Gewicht der deutschen EU- und G 8-Präsidentschaft von Anfang an alles in ihrer Macht stehende getan, eine politische Lösung auf den Weg zu bringen. Das ging natürlich nur, weil die Bundesrepublik ohne Vorbehalte solidarisch mit ihren Verbündeten gehandelt hat. (...)
     Jetzt müssen wir zweierlei tun: erstens dafür Sorge tragen, daß sich Ereignisse wie im Kosovo in Europa nicht wiederholen. Zweitens müssen wir den Frieden so gestalten, daß die Menschen in der Region wieder Hoffnung gewinnen können."730

     Als einen "ernsten Einschnitt" auch in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bezeichnete Bundestagspräsident Thierse am 25. März 1999 im Deutschen Bundestag die Luftschläge der NATO gegen jugoslawische militärische Ziele. Die Europäer könnten und dürften allerdings nicht weiter zusehen, wie im Kosovo eine Mehrheit der Bürger vertrieben, wie dort gemordet werde. Der Bundestag stehe zu den Soldaten, die sich in einem Einsatz befänden, der durch das Grundgesetz und die Beschlüsse des Parlaments gedeckt sei.731

     Die Situation im Kosovo war im Berichtszeitraum auch Gegenstand einer Erklärung des Europäischen Rates. Darin ging der Rat zunächst auf die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft ein, eine friedliche Lösung für den Kosovo-Konflikt zu finden.732 Zu den Luftschlägen der NATO heißt es in der Erklärung sodann:

     "Der Europäische Rat hat in seiner heutigen Erklärung dargelegt, welche Anstrengungen die internationale Gemeinschaft unternommen hat, um zu vermeiden, daß eine militärische Intervention nötig wird. Wir haben die jugoslawische Führung unter Präsident Milosevic nachdrücklich aufgefordert, in dieser Stunde den Mut zu einem radikalen Wandel ihrer Politik aufzubringen. Die Nordatlantische Allianz hat jetzt Aktionen gegen militärische Ziele in der Bundesrepublik Jugoslawien durchgeführt, um die humanitäre Katastrophe im Kosovo zu beenden.
     Die Bundesrepublik Jugoslawien muß nun die ihr wiederholt angedrohten harten Konsequenzen dafür tragen, daß sie nicht mit der internationalen Gemeinschaft zusammengearbeitet hat, um eine friedliche Lösung der Kosovo-Krise zu erreichen. Für das, was jetzt geschieht, muß Präsident Milosevic die volle Verantwortung übernehmen. Es liegt in seiner Hand, die Militäraktionen zu stoppen, indem er unverzüglich sein gewaltsames Vorgehen im Kosovo einstellt und die Vereinbarungen von Rambouillet akzeptiert."733

     Anläßlich ihres Gipfeltreffens in Washington gab die NATO am 23. April 1999 folgende Erklärung zum Kosovo ab:

     "1. Die Krise im Kosovo stellt eine grundlegende Herausforderung der Werte dar, für die die NATO seit ihrer Gründung eintritt: Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Sie ist Höhepunkt einer gezielten Politik der Unterdrückung, der ethnischen Säuberung und der Gewalt durch das Regime in Belgrad unter der Herrschaft von Präsident Milosevic. Wir werden nicht hinnehmen, daß diese Terrorkampagne erfolgreich ist. Die NATO ist entschlossen, sich durchzusetzen.
     2. Die Militäraktion der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien fördert die politischen Ziele der Internationalen Gemeinschaft, die in jüngsten Erklärungen durch den Generalsekretär der Vereinten Nationen und die Europäische Union bekräftigt wurden: ein friedliches, multiethnisches und demokratisches Kosovo, in dem alle Menschen in Sicherheit leben und die weltweit geltenden Menschenrechte und Freiheiten gleichermaßen genießen können.
     3. Unsere Militäraktion richtet sich nicht gegen die Serben, sondern gegen die Politik des Regimes in Belgrad, das wiederholt alle Anstrengungen zunichte gemacht hat, um diese Krise friedlich beizulegen. Präsident Milosevic muß:
    - eine verifizierbare Beendigung aller Militäraktionen und das sofortige Ende von Gewalt und Unterdrückung im Kosovo sicherstellen;
    - seine militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Kräfte aus dem Kosovo abziehen;
    - der Stationierung einer internationalen Militärpräsenz im Kosovo zustimmen;
    - der vorbehaltlosen und sicheren Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen sowie dem ungehinderten Zugang humanitärer Organisationen zu diesen Menschen zustimmen; und
    - die glaubhafte Garantie für seine Bereitschaft bieten, auf eine politische Rahmenvereinbarung auf der Grundlage der Vereinbarungen von Rambouillet hinzuarbeiten.
     4. Zu diesen Bedingungen kann es keinen Kompromiß geben. Solange Belgrad den legitimen Forderungen der internationalen Gemeinschaft nicht nachkommt und weiter unermeßliches Leid verursacht, werden die Luftschläge der Allianz gegen die jugoslawische Kriegsmaschinerie fortgeführt. (...)
     5. Wir intensivieren zur Zeit die Militäraktionen der NATO, um den Druck auf Belgrad zu erhöhen. Die Regierungen von Bündnispartnern stellen zur Zeit zusätzliche Maßnahmen bereit, um den Druck auf das Belgrader Regime weiter zu steigern. Hierzu gehört die intensivierte Umsetzung von Wirtschaftssanktionen sowie ein Embargo auf Erdölprodukte, eine Maßnahme, zu der wir die führende Rolle der EU begrüßen. Wir haben unsere Verteidigungsminister angewiesen, Mittel und Wege zu untersuchen, damit die NATO zum Stop der Lieferung von Kriegsgerät beitragen kann, auch durch maritime Operationen, unter Berücksichtigung der möglichen Konsequenzen für Montenegro.
     6. Die NATO ist bereit, ihre Luftschläge einzustellen, sobald Belgrad die vorgenannten Bedingungen unwiderruflich akzeptiert und nachweislich damit begonnen hat, seine Kräfte aus dem Kosovo nach Maßgabe eines genauen und zügigen Zeitplans abzuziehen. Dies könnte nach Vorliegen einer Resolution des VN-Sicherheitsrats erfolgen, die wir anstreben und die den Abzug serbischer Kräfte sowie die Entmilitarisierung des Kosovo zur Auflage macht und die Dislozierung einer internationalen Truppe vorsieht, um die zügige Rückkehr aller Flüchtlinge und Vertriebenen sowie die Einrichtung einer internationalen Übergangsverwaltung für das Kosovo zu gewährleisten, unter der seine Bewohner weitgehende Autonomie unter der Bundesrepublik Jugoslawien genießen können. Die NATO bleibt bereit, den Kern einer solchen internationalen Truppe zu stellen. Sie würde multinational zusammengesetzt sein, mit Beiträgen aus Nicht-NATO-Staaten."734

     Der Kosovo-Konflikt war im Berichtszeitraum auch Gegenstand mehrerer parlamentarischer Anfragen. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage einzelner Abgeordneter und der Fraktion der FDP setzte sich die Bundesregierung am 17. Mai 1999 mit der als "Fischer-Friedensplan" bezeichneten deutschen Initiative für eine politische Lösung des Kosovo-Konflikts auseinander.735 Äußerungen von Regierungspolitikern über "Hinweise auf Konzentrationslager" und "Anzeichen eines neuen Faschismus" in Jugoslawien waren Thema einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jelpke und der Fraktion der PDS.736 In insgesamt fünf Antworten auf kleine Anfragen einzelner Abgeordneter und der Fraktion der PDS zog die Bundesregierung schließlich Bilanz aus dem Einsatz der NATO im Kosovo-Konflikt. Dabei setzte sie sich ausführlich mit folgenden Themenkreisen auseinander. Zerstörungen durch die NATO-Luftangriffe auf die Bundesrepublik Jugoslawien,737 Einsatz von Clusterbomben durch die NATO im Kosovo-Krieg,738 gleiche Sicherheit für alle Bewohner des Kosovo,739 Vorkommen von Massengräbern740 und Greueltaten im Kosovo741. Auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Jelpke, Pau und der Fraktion der PDS legte am 7. Juni bzw. 13. September 1999 schließlich auch das Auswärtige Amt eine ausführliche Bewertung der Lage im Kosovo vor.742




    722 Bull. Nr. 13 vom 30.3.1999, 137 f.

    723 Bull. Nr. 16 vom 16.4.1999, 170 f.

    724 Bull. Nr. 21 vom 27.4.1999, 205 f.

    725 Bull. Nr. 25 vom 4.5.1999, 244.

    726 Bull. Nr. 26 vom 6.5.1999, 249.

    727 Bull. Nr. 37 vom 10.6.1999, 381.

    728 Ibid., 382.

    729 Ibid.

    730 Bull. Nr. 55 vom 20.9.1999, 574.

    731 Blickpunkt Bundestag 3/99, 21.

    732 Bull. Nr. 30 vom 26.5.1999, 331.

    733 Ibid., 331 f.

    734 Bull. Nr. 24 vom 3.5.1999, 231.

    735 BT-Drs. 14/1076.

    736 BT-Drs. 14/1062.

    737 BT-Drs. 14/1788.

    738 BT-Drs. 14/1645.

    739 BT-Drs. 14/1583.

    740 BT-Drs. 14/1946.

    741 BT-Drs. 14/2011.

    742 BT-Drs. 14/1119; BT-Drs. 14/1581.