Die in Artikel 2 EUV verankerten Werte der Union – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – stehen unter Druck. Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof eine spektakuläre Entwicklung in Gang gesetzt. Mit der Entscheidung in Associação Sindical dos Juízes Portugueses hat der Gerichtshof begonnen, die Werte des Artikel 2 EUV in den Mittelpunkt seiner Rechtsprechung zu rücken. Dieser Rückgriff geht weit über verfassungsrechtliches Pathos hinaus: Artikel 2 EUV ist zu einer operativen, gerichtlich anwendbaren Bestimmung geworden. In einem ersten Schritt zeichnet das Dissertationsprojekt diese junge Rechtsprechungslinie in empirischer, dogmatischer und theoretischer Hinsicht nach. Das Projekt entwickelt sodann einen konzeptionellen Rahmen für die weitere, gerichtliche Mobilisierung des Art. 2 EUV. Die Bestimmung weist dabei einen Doppelcharakter auf. In seiner EU-Dimension stellt die Bestimmung den Verfassungskern der Unionsrechtsordnung dar. In seiner Verbund-Dimension, welche Union und Mitgliedstaaten in ihrer Gesamtheit umfasst, sollte Artikel 2 EUV hingegen als Verfassungshomogenitätsklausel verstanden werden, die bloß begrenzende Funktion hat. Im zweiten und dritten Teil des Projekts wird das vielschichtige Potenzial von Artikel 2 EUV in diesen beiden Dimensionen untersucht. Der vierte und letzte Teil setzt sich mit den Risiken einer solchen Rechtsprechung auseinander und erörtert, wie sich insbesondere die Durchsetzung der Unionswerte in den Mitgliedstaaten kalibrieren lässt.
Ausgezeichnet mit dem Wilhelm Bender-Dissertationspreis 2022 und der Otto-Hahn-Medaille 2023.