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Völkerrechtliche Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1995


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Rainer Grote

XV. Europäische Gemeinschaften

1. Europäische Union

    246. Am 1. Januar 1995 trat der Vertrag vom 24. Juni 1994 über den Beitritt zur Europäischen Union für die bisherigen EU-Mitgliedstaaten sowie Österreich, Finnland und Schweden in Kraft.591 Diese Staaten wurden damit Mitglieder der Europäischen Union und Vertragsparteien der die Union begründenden Verträge. Hingegen ratifizierte Norwegen den Vertrag aufgrund des negativen Ergebnisses der Volksabstimmung über den EU-Beitritt nicht. Demgemäß wurden vom Rat der Europäischen Union am 1. Januar 1995 die notwendigen Vertragsanpassungen beschlossen.592

    247. Auf den Gipfeltreffen in Cannes und Madrid einigte sich der Europäische Rat über das weitere Vorgehen bei der Erweiterung der Union, die der Rat als "politische Notwendigkeit und zugleich eine historische Chance für Europa" bezeichnete.593 Danach sollen die Verhandlungen über die Beitritte Maltas und Zyperns zur Union auf der Grundlage der diesbezüglichen Vorschläge der Europäischen Kommission sechs Monate nach Abschluß der Regierungskonferenz 1996 und unter Berücksichtigung ihrer Ergebnisse beginnen. Gleichzeitig wurde die Europäische Kommission beauftragt, ihre Stellungnahmen zu den Beitrittsanträgen der mittel- und osteuropäischen Staaten so rechtzeitig nach dem Ende der Regierungskonferenz vorzulegen, daß der Europäische Rat entscheiden kann, mit welchen dieser Staaten neben Zypern und Malta Verhandlungen begonnen werden können. Angestrebtes Ziel ist es, daß die Anfangsphase der Verhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten mit dem Verhandlungsbeginn mit Zypern und Malta zeitlich zusammenfällt.594

    248. Mit Gesetz vom 23. Juni 1995 stimmte der Bundestag dem Beschluß des Rates vom 31. Oktober 1994 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften zu.595 Der Beschluß ersetzt den Eigenmittel-Beschluß des Rates vom 24. Juni 1988.596 In Umsetzung der auf dem Gipfeltreffen von Edinburgh im Dezember 1992 getroffenen Vereinbarungen erweitert der neue Beschluß die Finanzausstattung der Gemeinschaften und ändert die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten bei der Aufbringung der Eigenmittel. Der Beschluß sieht vor, daß die Gemeinschaften bis 1999 über einen maximalen Eigenmittelbetrag von 1,27 % des gesamten Bruttosozialprodukts der Mitgliedstaaten verfügen können (bisher 1,20%). Damit diese Obergrenze eingehalten wird, darf der Gesamtbetrag der in dem Zeitraum von 1995 bis 1999 den Gemeinschaften zur Verfügung gestellten Mittel in keinem Jahr einen bestimmten Prozentsatz des Gesamtbruttosozialprodukts der Mitgliedstaaten für das betreffende Jahr übersteigen (Art. 3). Die Einnahmen, die in den Haushalt der Gemeinschaften als Eigenmittel einzustellen sind, werden in Art. 2 näher definiert. Die Korrektur der Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten zugunsten des Vereinigten Königreichs, wie sie bereits in dem Beschluß von 1988 vorgesehen war, wird durch den neuen Eigenmittel-Beschluß fortgeführt (Art. 4). Art. 1 schreibt vor, daß der Haushalt der Gemeinschaften vollständig aus Eigenmitteln finanziert wird.

    249. Die Aktivitäten der Europäischen Union im Berichtszeitraum standen im Zeichen der Vorbereitungen für die Regierungskonferenz 1996. Aus Anlaß des Treffens der EU-Außenminister in Messina am 2./3. Juni 1995 nahm die Reflexionsgruppe zur Vorbereitung der Regierungskonferenz ihre Arbeit auf. Auf seinem Treffen am 15./16. Dezember 1995 in Madrid nahm der Europäische Rat den Bericht der Reflexionsgruppe zur Kenntnis und beschloß, den 29. März 1996 als Beginn der Regierungskonferenz zu bestimmen.597
    Die deutschen Ziele für die Regierungskonferenz 1996 waren im Berichtsjahr Gegenstand zahlreicher Erklärungen der Bundesregierung.598 Darin setzte sie sich auch mit den verschiedenen Modellen für eine "abgestufte Integration" oder ein "opt-out" einzelner Mitgliedstaaten in bestimmten Integrationsbereichen auseinander:

    "Die Überlegungen, die mit dem Stichwort 'Kerneuropa' oder anderen Begriffen beschrieben werden, kennzeichnen Modelle, wie bei einer steigenden Zahl von Mitgliedern in der Union weitere Integrationsschritte zügig verwirklicht werden können.
    Diese Überlegungen gehen davon aus, daß manche Integrationsschritte zunächst nur von einzelnen Mitgliedstaaten verwirklicht werden können, bevor zu einem späteren Zeitpunkt die übrigen Mitgliedstaaten aufholen.
    Die Bundesregierung geht davon aus, daß es bei der Regierungskonferenz 1996 zu entscheidenden Fortschritten bei der weiteren Integration gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten kommt. Oben erwähnte Modelle werden von ihr zur Zeit nicht erwogen.
    Im übrigen orientiert sich die Politik der Bundesregierung an der Festlegung in der Koalitionsvereinbarung, in der es heißt: 'Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen in der gleichen Weise an der fortschreitenden europäischen Integration teilnehmen können, jedoch darf die Verweigerung einzelner Mitgliedstaaten Integrationsschritte nicht aufhalten.'"599
    Im Hinblick auf die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten machte sich die Bundesregierung für eine striktere Anwendung des Subsidiaritätsprinzips stark:
    "Die Bundesregierung sieht die bisherige Praxis des Subsidiaritätsprinzips durch die Gemeinschaft insgesamt noch nicht als befriedigend an. Nach wie vor werden dem Rat Vorschläge vorgelegt, die nicht im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip stehen. Zudem vertreten die Europäische Kommission und manche Mitgliedstaaten z.T. eine andere Auslegung des Art. 3b EGV als die Bundesregierung. [...]
    Die Konkretisierung und Verstärkung des Subsidiaritätsprinzips ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung für die Regierungskonferenz 1996. In welcher Weise dies am wirksamsten geschehen kann, bedarf sorgfältiger Prüfung und ist derzeit noch nicht absehbar."600
    Allerdings erkannte die Bundesregierung in ihrem Bericht an den Deutschen Bundestag über die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Jahre 1995 an, daß sich im Berichtszeitraum "deutliche Fortschritte" gezeigt hätten. Zum einen habe die Zahl der problematischen Vorschläge der Kommission für Rechtsetzungsvorhaben abgenommen, zum anderen hätten mehrere frühere Kommissionsvorschläge im Rat in einer befriedigenden oder zumindest hinnehmbaren Weise umgestaltet werden können.601
    Eine deutliche Absage erteilte die Bundesregierung im Hinblick auf die Regierungskonferenz Forderungen nach der Begründung neuer Kompetenzen für die Gemeinschaft:
    "Die Übertragung von weiteren Kompetenzen auf die Europäische Union steht 1996 nicht auf der Tagesordnung. Vielmehr geht es um eine klarere Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union und ihrer Mitgliedstaaten. Hier ist vor allem Klarheit in der Rechtsetzung gefordert."602
    Im Hinblick auf die institutionelle Struktur der Europäischen Union betonte die Bundesregierung die Bedeutung effizienter Entscheidungsprozesse für die Erhaltung der Handlungsfähigkeit der Union:
    "Die Überprüfung der europäischen Institutionen und Entscheidungsprozesse wird von fast allen Partnern gefordert, ist aber erfahrungsgemäß ganz besonders schwierig. Wir werden das mit der notwendigen Behutsamkeit angehen und dabei natürlich die Interessen der kleineren Mitgliedstaaten berücksichtigen müssen. Wichtig ist, daß die Regelungen so ausfallen, daß eine neue Erweiterung keinen Verlust an Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit mit sich bringt."603
    Sie befürwortete aus diesem Grund die verstärkte Anwendung des Mehrheitsprinzips bei Entscheidungen des Rates:
    "Die Bundesregierung tritt dafür ein, daß der Rat verstärkt mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Welche Handlungsfelder im einzelnen sich hierfür eignen, bedarf eingehender Prüfung. [...]
    Einstimmigkeit muß jedoch u.a. in Fragen von vertragsändernder Bedeutung sowie bei hochsensiblen Sachbereichen beibehalten werden, insbesondere bei Finanzen, Steuern, sozialer Sicherheit, Industriepolitik sowie bei Artikel 235 EGV."604
    Positiv äußerte sich die Bundesregierung zu Bestrebungen, Mehrheitsentscheidungen im Rat von dem Erreichen einer doppelten Mehrheit abhängig zu machen, die auch die Bevölkerungsmehrheit der Europäischen Union repräsentiert:
    "In der europapolitischen Debatte wird zur Zeit erwogen, bei der Abstimmung im Rat zu einem Verfahren der doppelten Mehrheit überzugehen. Beschlüsse des Rates sollen an eine Mehrheit der gewichteten Stimmen und an eine ausreichende Mehrheit der von den zustimmenden Staaten repräsentierten Bevölkerung gebunden sein. Die Bundesregierung hält es im Interesse einer Stärkung der demokratischen Legitimität für notwendig sicherzustellen, daß auch künftig in einer sich erweiternden Union hinter den Beschlüssen des Rates immer eine ausreichende Bevölkerungsmehrheit steht."605
    Die Bundesregierung befürwortete darüber hinaus eine Ausweitung der gesetzgeberischen Befugnisse des Parlaments.606 Diese sollte ihrer Auffassung nach mit einer Vereinfachung der bislang praktizierten Mitwirkungsverfahren verbunden sein:
    "Bürgernähe heißt auch Transparenz. Wenn die europäischen Verfahren so kompliziert geworden sind, hängt dies mit dem legitimen Wunsch nach einer Vielzahl von Kontrollstufen zusammen; diesem Interesse muß Rechnung getragen werden. Es widerspricht dem aber nicht, die Verfahren im Europäischen Parlament zu vereinfachen. Neben dem Haushaltsverfahren sollten noch drei Verfahren für die Beteiligung des Europäischen Parlaments zur Anwendung kommen: das der Zustimmung, das der Mitentscheidung und das der Anhörung."607
    Auch zu ihrer Konzeption von den künftigen Aufgaben des EuGH in einer reformierten Europäischen Union, insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, äußerte sich die Bundesregierung:
    "Die Bundesregierung wird sich für eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) insbesondere für Fragen der Vertragsauslegung und bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Inneres und Justiz einsetzen. Der EuGH sollte im Bereich Justiz und Inneres umfassend zuständig sein, d.h. insbesondere für Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission sowie für Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage der nationalen Gerichte. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist dagegen in erster Linie eine Frage der politischen Verantwortung und einer richterlichen Kontrolle nur in sehr begrenztem Umfang zugänglich."608
    Zur Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres vgl. im übrigen oben VIII.2., Ziff. 69; zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik s. unten 2., Ziff. 260, 261.

    250. Zur Zusammenarbeit zwischen Europäischer Union und Europarat führte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus:

    "Der EG-Vertrag sieht ausdrücklich vor, daß die Gemeinschaft jede zweckdienliche Zusammenarbeit mit dem Europarat herbeiführt. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß in Erfüllung dieses Auftrags eine noch engere Abstimmung zwischen den beiden Organisationen erforderlich ist und unterstützt werden muß. Sie begrüßt daher die Erklärungen und Beschlüsse, mit denen die Organe der beiden Institutionen die Grundlagen für eine engere Kooperation geschaffen haben."609
    Die Bundesregierung äußerte sich in diesem Zusammenhang auch zu der Frage nach einem Grundrechtekatalog für die Europäische Union:
    "Nach dem Vertrag von Maastricht achtet die Europäische Union die Grundrechte, wie sie in der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind. Damit ist ein umfassender Schutz der Menschenrechte gegenüber den Organen der Europäischen Union gewährleistet. Die Frage eines eigenen Grundrechtekataloges bleibt jedoch ein Thema für die Fortentwicklung der Union".610
    Einem Beitritt der Europäischen Gemeinschaft zum Europarat stehe dessen Satzung entgegen, die nach ihrem gegenwärtigen Wortlaut nur Staaten die Beitrittsmöglichkeit einräume. Andererseits sei die "Europaratsfähigkeit" eines Staates faktisch Voraussetzung für dessen Mitgliedschaft in der Europäischen Union:
    "Die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union richten sich nach den Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union. Danach können europäische Staaten, die sich zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bekennen, Mitglieder der Europäischen Union werden. Auch die Satzung des Europarates und die Wiener Gipfelerklärung setzen die Erfüllung dieser Kriterien für einen Beitritt zum Europarat voraus. Insofern läßt sich sagen, daß die Europaratsfähigkeit gewissermaßen Voraussetzung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist, wenngleich formal eine solche Vorbedingung nicht besteht."611

    251. Der Europäische Rat verständigte sich auf seinem Treffen am 15. und 16. Dezember 1995 in Madrid darauf, daß der Name für die europäische Währung ab Beginn der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion Euro lauten wird. Dieser Beschluß stellt nach dem Willen der Mitgliedstaaten die einvernehmliche endgültige Auslegung der einschlägigen Vertragsbestimmungen dar.612
    Der Europäische Rat einigte sich ferner auf das Übergangsszenario für die 3. Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion.613 Danach beginnt die 3. Stufe am 1. Januar 1999 mit der unwiderruflichen Festsetzung der Kurse für die Umrechnung der Währungen der teilnehmenden Staaten in ihrem Verhältnis untereinander und zum Euro. Ab diesem Zeitpunkt wird in der Geld- und Wechselkurspolitik der Euro zugrunde gelegt, wird die Verwendung des Euro auf den Devisenmärkten gefördert und werden die teilnehmenden Mitgliedstaaten neue handelbare Schuldtitel der öffentlichen Hand in Euro auflegen. Am 1. Januar 1999 soll ferner eine Verordnung des Rates in Kraft treten, die den rechtlichen Rahmen für die Verwendung des Euro ab diesem Zeitpunkt bietet, zu dem er zu einer eigenständigen Währung wird und der amtliche ECU-Korb abgeschafft wird. In dieser Verordnung wird für die Zeit des Fortbestehens unterschiedlicher Währungseinheiten der rechtlich verbindliche Gegenwert des Euro in den Landeswährungen festgelegt. Spätestens am 1. Januar 2002 sollen dann die Euro-Banknoten und -Münzen neben den nationalen Banknoten und Münzen in Umlauf gebracht werden. Sechs Monate nach diesem Zeitpunkt ist die vollständige Ersetzung der Landeswährungen in allen teilnehmenden Staaten vorgesehen, womit die Einführung der einheitlichen Währung vollendet wäre.
    Die Bundesregierung hob mit Blick auf die Herstellung der Wirtschafts- und Währungsunion die Notwendigkeit einer strikten Einhaltung der im Maastrichter Vertrag enthaltenen Konvergenzkriterien hervor. Nur in diesem Falle ließen sich die von der einheitlichen Währung erhofften Vorteile (sichere Planungsgrundlagen, verminderte Transaktionskosten) auch tatsächlich realisieren:

    "Diese Vorteile der Währungsunion entstehen nur bei einer stabilen einheitlichen Währung. Dies setzt eine dauerhafte Konvergenz der ökonomischen Grunddaten und eine strikte Erfüllung der im Vertrag von Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien durch alle Teilnehmerländer voraus. Dazu sind in zahlreichen Mitgliedstaaten noch erhebliche zusätzliche Anstrengungen, insbesondere im Bereich der öffentlichen Finanzen, erforderlich. Nur dauerhafte Stabilitätserfolge ermöglichen den Übergang in die Endstufe der Währungsunion. Die einheitliche Währung darf in ihrer Stabilität der DM nicht nachstehen."614
    Die Grundsätze für den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion waren auch Gegenstand einer Entschließung des Deutschen Bundestages zum Grünbuch der Europäischen Kommission über die praktischen Fragen des Übergangs zur einheitlichen Währung615, mit der dieser sich für eine enge und strikte Auslegung der Stabilitätskriterien bei der Entscheidung über die Teilnahmeberechtigung der Mitgliedstaaten an der Währungsunion zum 1. Januar 1999 aussprach, und zwar auf der Basis von Ist-Daten für das Jahr 1997.616

    252. Die Bundesregierung nahm im Berichtszeitraum im Rahmen einer Kleinen Anfrage zu der Vereinbarkeit der unterirdischen französischen Atomtests auf dem Muroroa-Atoll mit den Vorschriften des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG-Vertrag) Stellung. Sie vertrat hierzu die Auffassung, daß die Atomversuche vom räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich des EAG-Vertrages erfaßt seien. Der Anwendbarkeit von Bestimmungen aus Kapitel III des EAG-Vertrages über den Gesundheitsschutz stehe weder entgegen, daß es sich bei dem Muroroa-Atoll um ein außerhalb Europas gelegenes Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates handele, noch die Tatsache, daß die Tests militärische Versuche darstellten. Es obliege jedoch der Europäischen Kommission, über die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem EAG-Vertrag zu wachen. Es sei daher vorrangig Aufgabe der Kommission zu prüfen, ob es sich bei den von der französischen Regierung angekündigten unterirdischen Versuchen um "besonders gefährliche Versuche" im Sinne des Art. 34 EAG-Vertrag handele. Die Bundesregierung habe mit den anderen EU-Mitgliedstaaten keine Gespräche über die Möglichkeit eines gemeinsamen Vorgehens nach den Bestimmungen des EAG-Vertrages geführt.617

    253. Am 26. Juli 1995 wurde das EUROPOL-Übereinkommen durch die Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel unterzeichnet.618 Das Übereinkommen sieht die Errichtung einer gemeinsamen Polizeibehörde der Mitgliedstaaten vor. Keine Einigung konnte jedoch darüber erzielt werden, ob bei Klagen von EU-Bürgern gegen Maßnahmen der Polizeibehörde den nationalen Gerichten die Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof eingeräumt wird. Diese Frage soll spätestens auf der Tagung des Europäischen Rates im Juni 1996 geregelt werden. Die Bundesregierung erklärte im Europaausschuß des Bundestages, im Hinblick auf die ungeklärte Frage der EuGH-Zuständigkeiten von der Einleitung eines Verfahrens zur Ratifizierung der Konvention zunächst absehen zu wollen.619

    254. Zur Einführung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger in den Bundesländern s. oben VIII.1., Ziff. 65.


    591 BGBl. 1996 II, 1486. Zum Inhalt des Vertrages und der Beitrittsakte s. Stoll (Anm. 10), Ziff. 245-251.
    592 Beschluß des Rates der Europäischen Union vom 1.1.1995 zur Anpassung der Dokumente betreffend den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zur Europäischen Union, BGBl. 1996 II, 1487. Der Beschluß trat nach seinem Art. 55 zum 1.1.1995 in Kraft.
    593 Schlußfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Madrid, Teil A III.A., Bull. Nr. 8 vom 30.1.1996, 67.
    594 Ibid., 67 f.
    595 BGBl. 1995 II, 498. Der Beschluß ist für die Bundesrepublik am 1.7.1996 mit Wirkung vom 1.1.1995 in Kraft getreten, BGBl. 1996 II, 2477.
    596 ABl. Nr. L 185 vom 15.7.1988, 24.
    597 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Teil A, Einleitung, Bull. Nr. 8 vom 30.1.1996, 61.
    598 Erklärung von Bundesaußenminister Kinkel zum Treffen der EU-Außenminister in Messina vom 2.6.1995, Bull. Nr. 46 vom 7.6.1995, 409; Vortrag von Staatsminister Hoyer zu den Zielen und Aufgaben der Regierungskonferenz vor der Europäischen Kommission vom 31.5.1995, Bull. Nr. 46 vom 7.6.1995, 410; Erklärung der Bundesregierung zu aktuellen Fragen der Europapolitik im Deutschen Bundestag vom 22.6.1995, Bull. Nr. 51 vom 26.6.1995, 457; Rede von Bundesaußenminister Kinkel vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik am 12.10.1995 in Berlin, Bull. Nr. 82 vom 16.10.1995, 800; Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 96 ("Maastricht II"), BT-Drs. 13/3198; Regierungserklärung von Bundeskanzler Kohl zu aktuellen Fragen der Europapolitik im Deutschen Bundestag vom 7.12.1995, Bull. Nr. 103 vom 11.12.1993, 1011.
    599 BT-Drs. 13/3198, 19 f.
    600 BT-Drs. 13/3198, 5. Vgl. auch die Regierungserklärung von Bundesaußenminister Kinkel im Deutschen Bundestag vom 22.6.1996, Bull. Nr. 51 vom 26.6.1995, 460.
    601 BT-Drs. 13/5180, 1.
    602 Regierungserklärung vom 22.6.1995, Bull. Nr. 51 vom 26.6.1995, 460. S. ferner die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 96, BT-Drs. 13/3198, 6.
    603 Regierungserklärung vom 22.6.1995, Bull. Nr. 51 vom 26.6.1995, 459.
    604 BT-Drs. 13/3198, 8.
    605 BT-Drs. 13/3198, 9.
    606 Ibid.
    607 Regierungserklärung vom 22.6.1995, Bull. Nr. 51 vom 26.6.1995, 460. Vgl. ferner den Bericht der Bundesregierung über ihre Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberischen Befugnisse des Europäischen Parlaments im Jahr 1995, BT-Drs. 13/4212.
    608 BT-Drs. 13/3198, 12.
    609 BT-Drs. 13/2122, 1 f.
    610 Ibid., 2.
    611 Ibid., 4.
    612 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Teil A I.A I.2., Bull. Nr. 8 vom 30.1.1996, 62.
    613 Schlußfolgerungen des Vorsitzes, Teil B, Anlage 1, ibid., 72-75.
    614 BT-Drs. 13/1435, 5.
    615 KOM Nr. (95) 333 endg.
    616 BT-Drs. 13/3213, 4; BT-PlPr., 77. Sitzung, 6760 f.
    617 BT-Drs. 13/2313.
    618 56. Bericht der Bundesregierung über die Integration der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union, BT-Drs. 13/4176, 5.
    619 Woche im Bundestag 13/95 vom 5.7.1995, 57.