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20.11.2018: Parlamentarischer Abend. Völkerrecht in Gefahr? Die internationale Verantwortung Deutschlands im Gegenwind autoritärer und populistischer Tendenzen

Zu einem Parlamentarischen Abend unter Schirmherrschaft des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, Norbert Röttgen MdB, hatten unser Institut und das Präsidium der Max-Planck-Gesellschaft am 20. November 2018 in die Deutsche Parlamentarische Gesellschaft eingeladen. Auf dem Podium diskutierten Heike Krieger, Anne Peters und Norbert Röttgen über "Völkerrecht in Gefahr? Die internationale Verantwortung Deutschlands im Gegenwind autoritärer und populistischer Tendenzen". Den vertraulichen Austausch unter der Chatham House Rule, den das Berliner Büro des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht vorbereitet hatte, moderierte Stephan Detjen, Chefkorrespondent im Hauptstadtstudio des Deutschlandradio.

An einem langen und lebhaften Abend des Austauschs und der Begegnung kamen rund hundert Teilnehmer*innen aus Politik, Wissenschaft, Ministerialbürokratie, Stiftungen, Medien und intellektuellem Leben, darunter zahlreiche Abgeordnete des Deutschen Bundestages und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, miteinander ins Gespräch. Jürgen Renn, Vorsitzender der Geistes-, Sozial- und Humanwissenschaftlichen Sektion der MPG (GSHS), betonte in seinem Grußwort, dass die MPG mit dieser Begegnung zwischen Grundlagenforschung und Politik den Faden aufnehmen wolle, den Präsident Martin Stratmann mit der Initiative des Max Planck-Tages gelegt hat: Wissenschaft in der Öffentlichkeit sichtbar, gesprächsfähig und entscheidungsrelevant zu machen in einem gesellschaftlichen Klima, in dem der Ton der politischen Debatten sich erkennbar verschärft -  was zur Folge habe, dass auch unsere Forschungsthemen zunehmend kontroverser diskutiert werden. 

In ihrem Eingangsstatement auf dem Podium skizzierte Heike Krieger gegenwärtige Herausforderungen an das Völkerrecht und deren Ursachen. Vordergründig seien es geopolitische Machverschiebungen und die (Re-)Nationalisierung einzelner Staaten, die zu einer Tendenz zum Unilateralismus und einer Erosion der Völkerrechtsordnung, beispielsweise des Welthandelsrechts, führten. Tatsächlich sei jedoch auch ein deutliches Legitimationsdefizit des Völkerrechts entstanden, das sich seit den 1950er Jahren und auch nach Ende des Kalten Krieges nur schwach und plakativ weiterentwickelt habe. Anne Peters hielt dieser skeptischen Diagnose Entwicklungen wie die weltweite Verrechtlichung von Menschenrechten und die Bedeutung und Aktivität des Internationalen Gerichtshofs und anderer internationaler Gerichte sowie die Herausbildung einer „neuen Generation von Abkommen“ entgegen und warnte vor Klagen auf hohem Niveau. Gleichwohl müssten die Herausforderungen wachsender globaler Ungleichheit adressiert werden und es sei angesichts des völkerrechtlichen Eurozentrismus eine Dekolonisierung der Völkerrechtsordnung voranzutreiben, damit das Völkerrecht nicht weiter als „Machtinstrument des Westens“ diskreditiert werde. Auch müsse es mit „double standards“ ein Ende haben.

Aus der Perspektive der außenpolitischen Praxis unterstrich Norbert Röttgen Heike Kriegers Krisendiagnose und konstatierte, dass der gegenwärtige Zustand der globalen Völkerrechtsordnung eine veränderte geopolitische Situation und fundamentale Verschiebungen reflektiere, die durch Macht, Machtorganisation und Machtkonsens geprägt seien. Ein neuer Systemwettbewerb sei aufgeflammt, über die europäische Friedensordnung gebe es keinen Konsens mehr.

Mit Blick auf Russland und die USA, vor alle aber am Beispiel Chinas wurde auch in der nachfolgenden Diskussion, an der sich unter anderem Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD), Jochen Frowein, Christian Tomuschat und die Abgeordneten Armin-Paulus Hampel (AfD) und Frank Müller-Rosentritt (FDP) beteiligten, die Herausbildung neuer völkerrechtlicher Ordnungsmodelle diskutiert, die vom Streben nach ökonomischem Erfolg durch wirtschaftliche Mittel und militärischen Druck geprägt seien. Weitgehende Einigkeit bestand über die Bedeutung des deutschen Engagements in der und für die Völkerrechtsordnung. In Fragen militärischer Gewaltanwendung sei jedoch, betonte Anne Peters, schon auf Grund der historischen Verantwortung Deutschlands Zurückhaltung  und eine strenge Orientierung an den Vorgaben des Grundgesetzes geboten, gerade angesichts einer aktuellen Tendenz zum Handeln in völkerrechtlichen Grauzonen jenseits des Gewaltverbots der UN-Charta. Uneinheitlich wurden von den Diskussionsteilnehmern die Intensität und Nachhaltigkeit der gegenwärtigen Krisensituation bewertet. Gerade die außenpolitischen Praktiker betonten, dass man mit einem mittelfristigen geopolitischen Transformationsprozess konfrontiert sei, dessen Brüche, Verwerfungen und Rekonfigurationen man derzeit so wenig absehen könne wie seine langfristigen Auswirkungen auf die Völkerrechtsordnung und die Völkerrechtspraxis der Einzelstaaten.

Das Format des Parlamentarischen Abends bot in besonders intensiver Weise Gelegenheit, völkerrechtliches Wissen in die parlamentarische Debatte und Entscheidungsfindung einzubringen und nachhaltige Kontakte zwischen Wissenschaftler*innen und politischen Entscheidungsträger*innen herzustellen. Die aktuelle Diskussion um fake news, „Echokammern“ und fragmentierte gesellschaftliche Kommunikationsräume zeigt, wie Jürgen Renn unterstrich, dass zunehmend auch Wissenschaftler*innen selbst gefordert sind, für die Bereitstellung verlässlichen Wissens Sorge zu tragen, gesellschaftliche Diskurse anzuregen und mitzugestalten – und so eine solide Basis für begründete politische, wirtschaftliche und technologische Entscheidungen herzustellen und zu sichern. Die Initiative der Max-Planck-Gesellschaft, sich dieser Herausforderung zu stellen, wurde von den an diesem Abend anwesenden Vertretern aller Fraktionen nachdrücklich begrüßt.

 

Bericht: Alexandra Kemmerer / Aliki Kosmidis

Foto: Maurice Weiss / Ostkreuz

In der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.

https://www.mpil.de/de/pub/aktuelles/veranstaltungen.cfm?event=calendar.Display&cat=3&iDisplayID=7&event_ID=464&date=11/20/2018