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03.07.2019: International Law as Process and Practice. A Transatlantic Conversation on Use of Force

Rund 50 Expert*innen aus Völkerrecht, Politikwissenschaft und Praxis kamen am 3. Juli 2019 zum ganztägigen transdisziplinären Workshop International Law as Process and Practice: A Transatlantic Conversation on Use of Force in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zusammen, den das Berliner Büro des Instituts konzipiert und organisiert hatte. Ausgehend von neueren Publikationen der Völkerrechtler*innen Monica Hakimi (University of Michigan Law School) und Jochen von Bernstorff (Universität Tübingen) diskutierten die Teilnehmer*innen aktuelle Herausforderungen des Völkerrechts hinsichtlich der Anwendung militärischer Gewalt. Die Teilnehmer*innen waren aufgerufen, sich vor dem Hintergrund ihrer je eigenen Forschung, Praxis und disziplinären Zugehörigkeit zu den vorab zirkulierten Texten zu positionieren – ein eigenwilliges Format, das weitgehend positive Resonanz fand.

Den ersten Teil des von Alexandra Kemmerer kuratierten Workshops eröffnete als Moderator Frank Jarasch, Leiter des Völkerrechtsreferats im Auswärtigen Amt, bevor Nicole Deitelhoff (Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung / Goethe-Universität, Frankfurt am Main), Evelyne Lagrange (Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne) und Christian Marxsen anhand der Aufsätze  „The Ius ad Bellum’s Regulatory Form” (Monica Hakimi) und “The Two Codes on the Use of Force” (Monica Hakimi / Jacob Katz Cogan) Bezüge zwischen informeller Regulierung und Ius ad Bellum. Christian Marxsen erläuterte eingangs die beiden von Hakimi und Cogan anhand konkreter Fälle, Gerichtsentscheidungen und Hoheitsakte herausgearbeiteten „Codes“ des Völkerrechts - einerseits den Code internationaler Institutionen (UN, ICJ, ICC etc.) und ihrer Instrumente, andererseits den Code der Staaten. Das Recht auf Gewaltanwendung habe nach Hakimi und Cogan im Völkerrecht informelle Regulierungsformen ausgebildet, welche militärische Interventionen in bestimmten Fällen auch jenseits der in der UN-Charta festgelegten Ausnahmen vom völkerrechtlichen Gewaltverbot legitimiere. Die hier skizzierte Möglichkeit einer informellen Regulierung des Ius ad Bellum wurde von Evelyne Lagrange mit kritischem Nachdruck zurückgewiesen, während Nicole Deitelhoff aus politikwissenschaftlicher Perspektive das Augenmerk auf die Legitimationswirkung von Normen in den internationalen Beziehungen lenkte, deren Essenz letzlich immer das „commitment“, die selbstauferlegte Verpflichtung der Staaten sei, diese zu befolgen. In der anschließenden lebhaften Diskussion wurde unter anderem die Frage erörtert, wie Regierungen für eine entschiedenere und konsequente Positionierung in Fragen militärischer Gewaltanwendung zu gewinnen seien, wo informelle Regulierung ihre Grenze fände und wie das Verhältnis von Ius ad Bellum und Menschenrechten zu bestimmen sei. Die Texte, die als Ausgangspunkt für die Diskussion dienten, wurden dabei im Blick auf Analyse und Wertungen kritisch, stets aber konstruktiv kommentiert. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei in der Diskussion dem Verhältnis von US-amerikanischer Außenpolitik und Völkerrecht in der Tradition verschiedener amerikanischer Völkerrechtsschulen (New Haven School, Columbia etc.) und der Verarbeitung dieser Traditionslinien in den Grundlagentexten des Workshops. In einer abschließenden Respondenz unterstrich Monica Hakimi den weiten Begriff von Normativität, der ihrer Forschung zugrunde liege. Stets kämen dem Recht mehr Funktionen zu, als nur die Frage nach der Beurteilung einer staatlichen Maßnahme als rechtmäßig oder rechtswidrig. Vielmehr biete das internationale Recht den Staaten einen institutionellen Rahmen, innerhalb dessen sie ihre Handlungen rechtfertigen könnten.

Als „historiographical interlude“ eröffnete die zweite Sitzung des Workshops eine historisch informierte Perspektive auf Theorie und Praxis militärischer Gewaltanwendung, ausgehend von drei jüngeren  Publikationen von Jochen von Bernstorff und moderiert von Alexandra Kemmerer. Nachdem Jochen von Bernstorff selbst in seine Forschung eingeführt und deren völkerrechtspolitische Relevanz und Aktualität verdeutlicht hatte, unternahm Agatha Verdebout (ESPOL, Université Catholique de Lille / Université Libre de Bruxelles) eine kritische Rekonstruktion der Herausbildung des völkerrechtlichen Gewaltverbots, bevor Jacob Katz Cogan (University of Cincinnati) aus der Sicht des historisch ausgebildeten Völkerrechtlers beide Beiträge einer profunden methodischen Kritik unterzog. Zentrale Themen, die sich sowohl durch die Inputs als auch durch die nachfolgende Diskussion zogen, beinhalteten vor allem das Problem der Positionalität in der völkerrechtlichen Historiographie, aber auch im Blick auf aktuelle Völkerrechtsfragen. Aus welcher Perspektive wird die Geschichte des internationalen Rechts geschrieben? Wer profitiert von neuen Prinzipien und akzeptierten Rechtfertigungsgründen für militärische Gewaltanwendung? Tendieren Völkerrechtshistoriker*innen dazu, die Vergangenheit zu romantisieren? Und, wenn ja, mit welchen Folgen? Der Fragestellung immanent, fanden auch Ansätze postkolonialer Kritik Eingang in die Diskussion, die Gegensätze und Verflechtungen von Recht und Politik im Völkerrecht und seiner Historiographie verdeutlichte.

Moderiert von Björnstjern Baade (Freie Universität Berlin) wurden in der dritten Sitzung des Workshops Monica Hakimis Vorschläge einer Reinterpretation des Völkergewohnheitsrechts diskutiert. Ein tradiertes Verständnis des Völkergewohnheitsrechts als präzises und umfassendes Regelwerk, anhand dessen man klare Aussagen über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einzelner Maßnahmen treffen könne, sei im Ergebnis schädlich, so Hakimis Kernargument, da solch starre Regeln der internationaler Konflikte nicht gerecht werden könnten. Stattdessen fordert sie eine „realistischere“ Betrachtungsweise, die die Strukturen von Konflikte treffender beschreibt und dabei konzeptionelle, empirische und normative Beschreibungen und Argumente bietet. Ian Hurd (Northwestern University, Illinois) und Georg Nolte (Humboldt-Universität zu Berlin) beleuchteten in nuancierten Statements sowohl die Vor- als auch die Nachteile von Hakimis Ansatz. In der anschließenden Diskussion im Plenum stellte sich die Frage, in welchem Verhältnis der Mehrwert des von Hakimi vorgeschlagenen „soziologischen“ Ansatzes und die Nachteile der von vielen Teilnehmer*innen von diesem befürchteten Entwertung einer Konzeption des Völkergewohnheitsrechts als Regelwerk stehen. Sind beide Ansätze unvereinbar? Oder können wie sich gegenseitig ergänzen?

Im letzten Panel leitete Sigrid Boysen (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) die Diskussion über den Stellenwert der „Internationalen Gemeinschaft“ im Kontext des Völkerrechts. Monica Hakimis Annahme, dass die häufig kritisierten Auseinandersetzungen zwischen Akteuren des internationalen Rechts kein nachteiliges, sondern im Gegenteil ein in verschiedener Hinsicht sogar wünschenswertes Phänomen seien, war dabei Gegenstand angeregter Diskussion. Hakimi sieht keinen Bedarf, das fragmentierte und umstrittene Völkerrecht zu „reparieren“ und die Zahl der völkerrechtspolitischen Konflikte zu reduzieren. Ein solches Bemühen könne, so die amerikanisch Völkerrechtlerin, sogar kontraproduktiv sein, da im Völkerrecht stets eine Symbiose von Kooperation und Konflikt bestehe – auch wenn selbstverständlich das Gleichgewicht zwischen den beiden gewahrt werden müsse. Yifeng Chen (Beijing University), Claus Kress (Universität Köln) und Antje Wiener (Universität Hamburg) fragten in ihren Impulsreferaten, welche Chancen und Risiken ungelöste völkerrechtliche Konflikte bergen oder wie Konflikte die Funktionalität internationaler Kooperation einschränken könnten. Unter welchen Umständen entfaltet ein solcher Konflikt stabilisierende und kriegsvermeidende Wirkung? Wann wirkt sich dieser, im Gegenteil, destabilisierend aus? Einfache Antworten konnte die abschließende Diskussion nicht bieten – dafür traten eine Vielzahl scharf konturierter Fragen hervor, die die Teilnehmer*innen des Workshops nach einer kurzen Erholungspause auf dem Gendarmenmarkt später im Rahmen des abendlichen Heidelberger Salons „Syria and Beyond. On Use of Force in International Law“ mit Blick auf eine aktuelle weltpolitische Konfliktlage weiter vertieften.

 

Bericht: Seliem El-Sayed, Aliki Kosmidis, Corbinian Ruckerbauer

Foto: Ostkreuz

At the Berlin-Brandenburg Academy of Sciences (BBAW).

https://www.mpil.de/apps/eventcalendar/data/pdf1/Programme2.pdf

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